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Passt eh schon, meistens

DUMMY, 2019

Mozart, Falco, Georg Kreisler – aus Österreich kamen immer schon die interessanteren Musiker. Zuletzt zeigten uns die Cloud-Rapper einen Fluchtweg, um dem unfassbar peinlichen Gangsta-Rap zu entkommen. Ein Besuch beim Erfinder Young Krillin, der auf Twitter schreibt: Frauen stehn net auf Männer die wo Cloud-Rap erfunden haben :/

Die Sonne scheint, die Biegungen der Salzach, die Sonnenbrillen der Parkschlendriane, die schneeweißen Dreiecke der Alpen, alles glänzt. Es ist einer der ersten warmen Tage des Jahres in Salzburg, vielleicht der bislang wärmste, und wirklich unmöglich, schlechte Laune zu haben oder gar so etwas wie verbittert zu sein.

Young Krillin rollt mit zwei persönlichen Assistentinnen heran, und dann setzen wir uns auf eine Bank im Lehener Park. In Lehen, der Salzburger Kleinstadtversion eines Multikulti-Viertels, ist er aufgewachsen, nachdem seine serbisch-kroatischen Eltern mit ihm nach Österreich gekommen waren Anfang der Neunzigerjahre. Ein paar Straßen weiter lebt der Rapper bis heute, in seiner Wohnung nimmt er seine Lieder auf. „Das hat sich so ergeben“, sagt er, und der Satz passt eigentlich auf alles, Rap, Lehen und das Seltsame daran, dass ein Salzburger Künstler die deutschsprachige Musik der letzten Jahre beeinflusst hat, ihn aber fast niemand kennt.

Julie, eine der zwei Assistentinnen, nimmt eine Schachtel Zigaretten aus der Brusttasche seines Hemdes und steckt ihm eine in den Mund. Nach ein paar Zügen klemmt sie die Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger der gehöhlten Hand und tippt ihm die Asche weg. Young Krillin sitzt im Rollstuhl, er braucht Hilfe beim Essen, Duschen, Rauchen. Sieben persönliche Assistenten, bezahlt vom Land Salzburg, kümmern sich abwechselnd um ihn. Es sind Freunde, mit Julie hat er Soziologie studiert, Marion, die an diesem Tag auch dabei ist, „aber nicht im Dienst“, kennt er vom Rumhängen an der Salzach, seit sie dort mal in ihn und seinen Freund Crack Ignaz stolperte.

Nicht wie die Sprachnazis

Mit Ignaz und ein paar Rapfreunden gründete Young Krillin um 2011 herum „HVNUSCHPLVTZFLXW“, ein Blog für Rap aus Salzburg, benannt nach dem Ferdinand-Hanusch-Platz, Busumsteigeort und Touristenspot an der Salzach. Inspiriert vom US-Rapper Lil B und dessen Selbermach-Ästhetik versuchte sich Young Krillin in der Zeit an einer österreichischen Adaption von Cloudrap: einem sphärischen, geschwindigkeitsreduzierten Sound, den das Gefühl eines Songs mehr interessierte als streberhafte Rap-Technik.

Es brauchte ein bisschen, bis der durchs Österreichische geschmeidig gemachte Cloudrap nach Straßenrap-Deutschland schwappte. Spätestens aber als Yung Hurn, das aus Wien adoptierte Wunderkind der Hanuschplatzflow-Crew, im Sommer 2015 sein Video zu „Nein“ veröffentlichte, ließ dieses professionell kalkulierte Maß an Dilettantencharme alle Kollegahs des Deutschraps mit einem Schlag aussehen wie peinliche Sprachnazis. Gestrige. Gerade noch der Stand der Kunst waren Kollegah und Haftbefehl jetzt auch nur noch Rap-Opas.

Vom Salzburger Hanusch-Platz führt die Stammlinie nach Bietigheim-Bissingen zu Rin und seinem Freund Bausa, und von dessen Überhit „Was du Liebe nennst“ fehlt dann nur noch ein winziges bisschen Stillosigkeit bis zum Schlager-Rap von Capital Bra, der heute die Charts bestimmt.

„Ich habe den Weg bereitet – Rapper, die das von sich behaupten, sind so cringy“, sagt Young Krillin (aus der Twitter-Sprache übersetzt heißt „cringy“ sowas wie: eklig, peinlich). „Neue Entwicklungen in der Musik gehen nie von einem Musiker aus. Es passiert an vielen Orten parallel.“ Den Titel „Erfinder des deutschen Cloudraps“, den ihm ein paar Musikjournalisten in ihren Artikeln verliehen haben, findet Young Krillin schmeichelhaft – und ein bisschen Quatsch. „Einige Rapper haben zur selben Zeit etwas Ähnliches gemacht wie ich, ohne dass sie je von mir gehört hätten.“

Vom Lehener Park führt ein Uferweg an der Salzach zum Ferdinand-Hanusch-Platz. Joggerinnen weichen Döner essenden Schulkindern, dann mehren sich asiatische Touristen mit heller Kleidung und Sonnenhüten, die Beige Armee Fraktion, und dann, zum Glück sagt Young Krillin es stadtführerhaft dazu, erreichen wir den Hanusch-Platz. Aha, der Hanusch-Platz. So sieht er aus? Ein paar Haltestellen für die Oberleitungsbusse, umgeben von Fressständen, einer Drogerie und einem Billa-Supermarkt? Wirklich nicht mehr? In den Songs der Rapper war ihr Platz eine dunkle, geheimnisvolle Größe.

„Am Hanusch-Platz hingen wir eigentlich gar nie rum“, stellt Young Krillin klar. „Hier gibt’s ja nichts. Uns gefiel halt der Name.“ Das Bild vom Hanusch-Platz verhält sich zum Hanusch-Platz ungefähr wie Young Krillins Musik zu Young Krillin: Platz und Person sind doch ein Stück kleiner als ihre Popkulturversionen. Bescheiden und genügsam. Nett. Wenn Young Krillin in seinem größten, und einzigen, Hit, mit Yung Hurn „1 Berg Money“ berappte, dann war schon klar, dass er nicht wirklich einen Haufen Geld hatte. Doch während Yung Hurn solange weitermachte und behauptete, reich, sehr beschäftigt und eh der Geilste zu sein, bis er reich, sehr beschäftigt und der Geilste war, ist Young Krillin bei sich am Hanusch-Platz geblieben. Bescheiden und genügsam. Nett. Kein Star.

Kurz darauf, in Salzburg sind alle und alles immer nur einige Hundert Meter entfernt, sitzen wir im Raucherraum des „Shakespeare“, dem Stammlokal der Hanuschplatz-Clique. Auf dem Tisch liegt ein Flyer für eine Party, auf der mehrere Mitglieder auflegen, der Kellner Dany, der Pommes bringt und in Young Krillins Bier einen Strohhalm steckt, gehört als Rapper Däk Intellekt ebenfalls zur Crew. Young Krillin erzählt, dass Crack Ignaz, gemessen an den Streaming-Aufrufen die Nummer zwei nach Yung Hurn, gerade in Barcelona sei, um an seinem Album zu arbeiten. Er selbst ist noch nie geflogen.

„Seid ihr etwa Rapper?“

Am Nebentisch will ein sonnenbrandgebräuntes Trinkerpärchen, das irgendwie nach kurzen Motorradtouren und langen Aufenthalten in Biergärten aussieht, sein Wissen über österreichischen Rap beitragen. „Gestern haben sie im Radio erzählt, dass Rapper aus Salzburg gerade sehr angesagt sind. Sogar in Deutschland werden sie gehört“, sagt sie. „Stimmt das, oder?“ Als niemand antwortet, fragt ihr Mann, mit kleinen Augen musternd: „Seid ihr etwa Rapper?“

Es folgt ein Moment stiller Andacht, in dem einige am Tisch ihrem Schutzheiligen danken dürften dafür, dass jetzt das Ziel der Trinkerverbrüderung eindeutig Young Krillin ist. „Joa“, sagt er, „ich bin Rapper.“

„Ah, nee. Echt? Kannst du davon leben?“

„Geht schon.“

Die Äuglein starren aus einem derart skeptischen Mitleidsgesicht, dass es einen nicht wunderte, wenn gleich ein kleiner Geldschein herübergereicht würde. Stattdessen lehnt sich der Glatzkopf ran und reibt kreisend mit seiner Motorradfahrerhand über Young Krillins Bauch. „Geht schon, oder?“

„Jetzt lass ihn doch in Ruhe essen!“, mahnt seine Frau und packt ihn am Arm.

„Er hat echt meinen Bauch gesteichelt!“, sagt Young Krillin, nachdem die beiden weg sind. „Die Art Besoffskis mag ich, die sind entspannt, nicht stressig.“ Es passiert an dem Tag noch ein paar Mal, dass Leute Young Krillin ansprechen. Als wir später in der Abendsonne an der Salzach sitzen, kommt ein Typ namens Wolke vorbei, Young Krillin kennt ihn vom Sehen, und erzählt, dass er gerade nach 26 Monaten aus dem Knast rausgekommen ist. Dann geht er weiter. „Manchmal kommt es mir vor, als ob man über den Rollstuhl gleich deeper ins Gespräch kommt“, sagt Young Krillin.

Ja, der Rollstuhl. Von Geburt an hat Young Krillin eine fortschreitende Krankheit, die seine Muskeln schwinden lässt. „Früher haben mich viele Leute als lebensbejahendes Vorbild bezeichnet, ich war voll der positive Behinderte“, sagt er. „In den letzten Jahren habe ich mich nicht wiedererkannt, weil ich so depressiv war.“ Neben den Durchdreh-Tracks wie „1 Berg Money“ gibt es in Young Krillins Musik auch die Düsternis und die Ausweglosigkeit von Songs wie „Harakiri Pt. 3“, auf dem es heißt: „Wenn ich den Menschen aus meiner Umgebung sagen würde, wie es mir geht, würde ihnen das Angst machen.“

Dennoch bleibt die Behinderung in Young Krillins Musik im Hintergrund. „Ich will keinen Exotenbonus“, sagt er, „und nicht wegen, oder trotz, der Behinderung Aufmerksamkeit bekommen.“ Andersrum führte Young Krillin lang ein Leben, in dem er als Sozialberater anderen Menschen mit Behinderung half und Kunden und Kollegen nichts von seiner Rap-Karriere erzählte. Er will die Welten trennen und deshalb in einem Artikel über ihn als Rapper auch nicht seinen bürgerlichen Namen nennen. Mittlerweile kann Young Krillin dank Radiotantiemen und Streaming-Cents auf die Musik allein setzen. Er arbeitet an einem Album, soll in einer Serie mitspielen, und auch gesundheitlich geht es ihm etwas besser. Vor einiger Zeit schickte ihm ein Fan auf Twitter einen Link zu einer neuen Therapie, Young Krillin hatte bis dahin nichts von ihr gehört, und jetzt, nach einem Jahr Behandlung, erscheint es ihm, als habe er in den Armen wieder etwas mehr Kraft, als werde er stärker.

„Ich fühle mich einfach blessed“, sagt er, gesegnet, eines der Hauptwörter aus der Dankbarkeitsphilosophie seines Vorbilds Lil B. „Viele Leute sind mega gut und haben krasse Mixtapes, und niemand kennt sie. Ich bin so dankbar, dass ich einen kleinen Namen habe“, sagt Young Krillin. Der Sanftmut und die Akzeptanz der Dinge erklären vielleicht ein bisschen, weshalb er nie die Bekanntheit von Yung Hurn und Crack Ignaz erreicht hat, die vereint sind in ihrem Willen. Und selbst einer ach so toleranten Gesellschaft scheint es schwerzufallen, das schwerelose Wesen eines Popstars im Rollstuhl zu sehen. Die Fans aber, die Young Krillin hat, verehren ihn, schreiben ihm Nachrichten auf Twitter und Instagram, dankbar für seine Inspiration.

Nach acht Stunden Tour durch Salzburg fragt Young Krillin: „Wie, das war’s schon? Ich habe voll das schlechte Gewissen, dass ich ein schlechter Interviewpartner war.“ Nee, ging schon. Dann schwindet an der Salzach die Sonne, blutorangenrot und brutal drüber und auch ein bisschen schön.