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Was kommt danach?

FAS, 2018

Über das Ende eines endlosen Sommers

Ich war vierundzwanzig in diesem Sommer und vollkommen glücklich. Morgens, wenn die Sonne durchs geöffnete Fenster kam, diskutierte ich mit einem Freund im Chat, ob wir an den Fluss fahren wollten oder ans Meer. Mittags saßen wir vorm Café zwischen goldbraunen Menschen, und wenn wir losfuhren, fühlten sich die zwanzig Minuten zur Elbe wie ein Roadtrip an. Später, fast in der Nacht, machte der spektakuläre Sonnenuntergang klar, dass am nächsten Morgen ein neues Leben beginnen musste. Man wurde wach, weil ein schräg einfallender Sonnenstrahl wärmte. Fluss oder Meer? Wohin man hörte, sagten die Leute: Sommer des Lebens. Wie kitschig das klingt. Wie leicht es war, kitschig zu sein. Es war Sommer.

Swimmingpool, Schiebedach, Cuja Mara Split. Vielleicht waren es die Wörter, die man diesen Sommer ein paar Mal öfter sagte. Oder es lag an den Filtern der Sonnenbrillen, die man kaum mehr abnahm, dass man bald dachte: Das also ist Kalifornien. Angenehm. Ein paar Sommertage später erschien sogar Kalifornien zu real. In Kalifornien gab es Steuern, Dürre, Trump. Wir dagegen lebten spätestens ab Ende Juni in CobyCounty.

Die Sorglosigkeit in einem wohlhabenden Ort am Wasser, wo es total angenehm ist und die größte Anstrengung für die kreativen Freiberufler, zwischen Soja- und Hafermilch zu wählen, während hinter ihnen tiffanyblaue Wellen sacht an den Poolrand schwappen. Dieses Lebensgefühl hat der Schriftsteller Leif Randt vor ein paar Jahren in „Schimmernder Dunst über CobyCounty“ beschrieben. Gelegentlich dringt das Außen zum Protagonisten durch: Die Hochbahn entgleist, ein Jahrhundertsturm droht. Aber es berührt ihn nicht, alles Schwere bleibt bis zum Ende in der Peripherie.

So war es. Nachrichten, die man aus der „Tagesschau“ behielt, wenn man sie schaute und nicht vor einer Bar saß: Die Ostsee ist so warm wie das Mittelmeer, in den Baggerseen sterben die Fische an Sauerstoffmangel, die Hamburger Polizei gießt den Stadtpark mit Wasserwerfern. Saß man während der „Tagesschau“ vor einer Bar, redeten die Leute nicht von verantwortungsvollem Konsum; und über Gauland nur dann, wenn beim Baden seine Kleidung verlorenging. Einmal überlegten wir, was das Lied des Sommers sei. Uns fiel keines ein. Sogar die Musiker waren zu träge, Hits zu schreiben. Nicht einmal dachte ich in diesem Sommer daran, wegzufahren. Das Hirn konnte man sich auch am Baggersee rausbrennen lassen. So verharrte ich einfach in der Sommerdösigkeit.

Es dürfte Ende Juli gewesen sein, als der Sommer begann, sich falsch anzufühlen. Die Sonne schien, 32 Grad. Trotzdem ging ich mit Wehmut ins Bett, weil ich sicher war, dass der Sommer am Morgen vorbei sein würde. Die Blätter fielen von den Bäumen, die Grünflächen wurden braun. Im Kopf schon Spätsommer, obwohl draußen Hochsommer war. Fiebrige Unruhe überkam mich nun öfter, wenn ich mal wieder am Ufer eines Gewässers lag. So konnte es nicht weitergehen. Es war zu lang unbeschwert gewesen. Etwas musste passieren, die kosmische Rückhand holte aus, und man konnte bloß abwarten, wo sie einen traf.

Vielleicht las ich das hinein, hörte ich es heraus, weil ich es wollte, jedenfalls haben das Lied und das Buch meines Sommers auch diese nervöse Ahnung. Weil es keinen Sommerhit gab, nahm ich mir den Song, der am besten passte: „Eine Nacht in Manila“ der Wiener Pop-Band Bilderbuch, so schwül und schwülstig. Zärtlich sind die Nacht und der Sommer, aber was kommt danach? „Eine Nacht in Manila mit dir / So gefährlich, bleib bei mir.“ Man wird nicht unbedingt in Manila aufwachen, aber sicher auch nicht in CobyCounty. In Helene Hegemanns „Bungalow“ (auch Titel eines Bilderbuch-Songs) kann die Protagonistin dem Chaos draußen irgendwann nicht mehr entkommen, obwohl sie mehr als genug Chaos drinnen hat. Selbstmorde, Krieg bei Hegemann. Ausschreitungen in Chemnitz in der „Tagesschau“. Ich habe keine Lust, dass der Sommer so aufhört – das also war der drohende Dunst -, und es wäre auch viel zu pathetisch, ist ja nicht mehr wirklich Sommer.

Dann lieber Randts Ende. Ein Abend in Berlin Mitte August, ich glaube, danach kam kein wärmerer mehr. Gegen zehn endlich Wetterleuchten, Donner. Das ersehnte Sommergewitter. Wir schafften es noch in den U-Bahn-Schacht, dann setzte Platzregen ein. Als wir ein paar Stationen weiter ausstiegen, fassten wir es nicht. Nichts. Kein Regen, keine Abkühlung. Das Gewitter war an uns vorbeigezogen, wie an CobyCounty.

Später saßen wir in einer Bar wie Überlebende und aßen Geburtstagskuchen. Ich war fünfundzwanzig. Glücklich. Etwas würde sich ändern müssen, bald, aber sicher nicht jetzt.