Sarah und Vincent
FAS, 2019
Diese Woche las ich, dass ein Lied Sarah Connors zensiert worden sei. Der anstößige Text von „Vincent“ stört einige Radiostationen so sehr, dass sie den Song in gekürzter Version spielen oder gleich gar nicht.
Alles an dieser Nachricht überraschte mich. Alles. Dass es da draußen Sarah Connor gab. Dass Sarah Connor Musik machte. Dass es Sarah Connor gab und sie Musik machte und ihre Musik nicht im Radio gespielt wurde. Am meisten überraschte mich aber, dass Sarah Connor ja gar nicht Yvonne Catterfield war.
Sarah Connor, nicht Yvonne Catterfield, hat ein neues Album veröffentlicht, das zweite in ihrer Muttersprache. „Herz Kraft Werke“ ist wie der Name schon sagt Herz, Kraft, Werke. Des Albums zensierte Single „Vincent“ hat es an die Spitze der iTunes-Charts geschafft, Apples Musikdienst, den Apple um- und abbauen will, weil Heim-PC-Nutzer mit ergonomischer Maus, T-Online-Startseite und schwindendem Resthaar, denen der Weg nach Spotify ein Knieleiden erschwert, keine nachhaltige wirtschaftliche Grundlage sind.
Die anstößige „Vincent“-Zeile geht so: „Vincent kriegt kein‘ hoch, wenn er an Mädchen denkt.“ Uh. Gewagt! Polarisierend! Der Song dreht sich irgendwie um das Coming-Out eines Jugendlichen, nicht so einfach, mitzukriegen, wie genau, weil die Connor-Happiness einen ganz kirre macht und sie dann auch noch im Musikvideo mit einem schwarzen Gospelchor in einem lichtdurchfluteten Gemeindezentrum abravet. „Den Vincent, den gibt es wirklich. Es ist der Sohn einer Freundin von mir, der sich kürzlich geoutet hat, dass er schwul ist“, erklärte Connor. Mit fünfzehn, mitten in der Pubertät. „Ich hatte das Bedürfnis, ihm einen bestärkenden Song zu schreiben.“
Oh happy gay. Welcher fünfzehnjährige Pubertierende wünscht sich nach dem Coming-Out nicht den bestärkenden Sarah-Connor-Song. Trotzdem verleitete „Vincent“ einige Radiostationen zu krampfigen Verrenkungen. Vom größten Privatsender Antenne Bayern heißt es: „Wir finden den Song großartig und unterstützen auch das Thema Toleranz.“ Bei aller Toleranz ist Antenne Bayern das Wort hochkriegen aber doch etwas zu hart. Also kein „Vincent“. Besser noch gefallen mir Umgang und Begründung der Stuttgarter Hitradio Antenne 1. Tagsüber wird bei Hitradio Antenne 1 das Wort „hoch“ unhörbar gemacht und mit einem Instrumental unterlegt. Begründung der Programmdirektion: „Damit, gehen wir mal davon aus, kann eine Familie an einem normalen Werktag mit zwei kleinen Kindern entspannt frühstücken, ohne dass sie sich danach mit den Kindern noch mal fünfundzwanzig Minuten extra hinsetzen muss.“
Zugegeben, mit dem Alltag junger Familien kenne ich mich nicht so gut aus. Ich meine aber zu wissen, dass ein normaler Werktag einer Familie mit zwei kleinen Kindern nicht mit entspanntem Frühstücken beginnt. Dass die Wörter normal und entspannt generell wenig geeignet für die Beschreibung von Familien mit zwei kleinen Kindern sind. Außer normal und entspannt heißen kein Schlaf, ein Stück angelutschten Apfel im Ohr und auf dem anderen eine Improvisation von „Mein Hut, der hat drei Ecken“.
Wobei die Vorstellung schön ist: Behutsam köpft der kleine Carl Friedrich sein perfekt temperiertes Frühstücksei, während seine ein Jahr ältere Schwester Josefine ihn bittet, sich in der Lautstärke um einige Dezibel zurückzunehmen, schließlich ermittle sie an diesem Morgen den Zustand der Gesellschaft anhand einer kritischen Textanalyse des Rundfunkprogramms. Gedämpft, aber immer angeregt tauschen derweil die Frau Mutter und der Herr Vater ihre Ansichten aus über die um sich greifende Verwendung des gemeinen Dönerladen-Dus: Ein so deutliches Anzeichen für den Sittenverfall - da kommen sie schnell überein, weil sie nie uneins gewesen sind - hatten sie zuletzt mit der Abschaffung des Drei-Uhr-Tees erlebt.
Das meiste, das nutzt, schadet irgendwem auch. Bei einem Song wie „Vincent“ habe ich, das Ästhetische außen vor gelassen, die Hoffnung, dass er ein paar mehr Leuten nutzt als vielleicht irgendeiner jungen Familie in ihrer Entspanntheit zu schaden. Okay, „Vincent“ schreit ein bisschen laut nach Berechnung, nach Toleranzgratislikes und dem Campino-Sonderpreis für gesellschaftliches Engagement im Pop. Bisher ist Sarah Connor zumindest mir nicht als Vorsängerin der gleichgeschlechtlichen Liebe aufgefallen. Bisher ist mir Sarah Connor überhaupt nicht aufgefallen.
Womöglich sind die Stellen in ihren Liedern aber auch einfach zensiert worden.