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Normal unnormale Jungs

FAS, 2020

Mit dermaßen professionellem Hinterhofcharme hat noch niemand im Deutschrap seine Straßenecken und Fasson-Kanten inszeniert. Der Playboysmafia aus Kreuzberg kann man im Moment beim Durchbruch zuschauen

An der Ampel, im Park, vorm Spätkauf, irgendwo kamen sie dann doch immer in den letzten Monaten, zwei Wörter, die einem gleich den kompletten Refrain in den Kopf pflanzten und so ein schönes Eingeweihtengrinsen ins Gesicht, weil schon Leute über zwanzig Google brauchten, um die zwei Wörter (und den Großteil des Songtexts) zu verstehen. „Shababs botten“, so heißt der eineinhalbminütige Song, der letzten Sommer auftauchte und über die Monate zum Untergrund-Hit wuchs. Dann konnte man Untergrund auch weglassen.

Shababs botten – für alle, die nicht googeln wollen, hier eine Übersetzung: Jugendliche (Arabisch: Shabab) rennen weg (Berlinerisch: botten). Da versteht man, weshalb sich der junge Mann, von dem der Song ist, für seinen Liedtext gegen eine überstrenge Anwendung des Hochdeutschen entschieden hat. Und generell gegen zu viel Deutsch.

Von Pashanim, vermutlich zwanzig, Rapper und Videomacher aus Berlin-Kreuzberg, finden sich drei Songs beim Streaming-Anbieter Spotify. Neben „Shababs botten“ ist das ein schön melancholisches Rumhäng-Lied namens „Hauseingang“ und „Airwaves“, ein vor einigen Tagen veröffentlichter leichter Sommer-Track, der an Sonnentagen schon jetzt durch Berliner Parks weht und aus Spätis pumpt. Jedes der Lieder ist kürzer als drei Minuten. Außer einer Handvoll weiterer, ähnlich kurzer, Songs auf der Plattform Soundcloud hat er nichts veröffentlicht.

Auch sonst findet man fast nichts über Pashanim. Ein überschaubares Instagram-Profil. Die Interviewanfrage wird abgelehnt. Aber obwohl – oder eher: weil – er sich entzieht, gelten Pashanim und seine Crew im Berliner Kurz-vor-Mainstream-Rap momentan als so etwas wie das nächste große Ding (beziehungsweise sie können sich entziehen, weil klar ist, dass sie das nächste große Ding sind).

Zur Playboysmafia gehört der fast genauso erfolgreiche Symba, ein minimal weniger poppiger Rapper als Pashanim, abgedrehter und verspulter aber, und womöglich sogar der interessantere Charakter. Dazu kommt RB, der mit den beiden viele ihrer Videos gedreht hat. Und der Crew-DJ AbuGlitsch, eine blasse, schmale Gestalt in Moncler-Weste, deren Anblick immer wieder die Frage aufwirft, wie dieser Privatschüler vom Internat am Bodensee zur coolsten Rap-Crew in Kreuzberg entkommen ist.

Junge Künstler wie sie brauchen herkömmliche Medien nicht mehr. Ihr Publikum erreichen sie über soziale Medien wie Instagram und TikTok, ein Publikum, das sich selbst immer weniger in Zeitungen und Magazinen informiert, die dem, was junge Menschen hören, tragen, interessiert, mindestens Monate hinterher sind – falls ihre Themen je die Aufmerksamkeit tendenziell alter Redaktionen bekommen. Und so sammeln junge Rapperinnen und Sänger mit ihren Songs Millionen Aufrufe auf Soundcloud, YouTube und Spotify, bevor ein Artikel über sie erschienen ist. Dann haben sie es auch nicht mehr nötig, dass einer über sie erscheint.

Für die Playboysmafia gilt das nicht ganz. Auch Pashanim und Symba haben ihre Songs einfach hochgeladen. Innerhalb von Monaten waren sie groß. Allerdings liegt das nicht an einer flächendeckenden Social-Media-Präsenz der Crew. Alle paar Tage ein Post, die Instagram-Storys wirken, als hätte man sich zwischen Köfte-Teller und einer Runde auf dem E-Roller gefilmt. Anstatt ihr Publikum zuzuballern, nutzen sie die Methode: Informationsverknappung zur Interessantheitssteigerung.

Und was soll man sagen. Die Strategie ist perfekt, weil das, was man zu sehen und zu hören bekommt, perfekt ist. Jeder Song knallt. Alle Videos haben genau das richtige Maß an Professionalität und Hinterhof-Charme. Man sitzt davor und fragt sich, was man falsch gemacht hat und was deren Eltern richtig oder ob inzwischen alle Zwanzigjährigen diese endsouveräne Lässigkeit haben.

Es muss sehr schwer sein, etwas so leicht aussehen zu lassen. Pashanims Melancholie, wenn er nachts über den Mehringdamm läuft, Gras an Hipster verkauft und sich ins Bett einer Frau sehnt. Sein todsicheres Markenbewusstsein, mit dem er bloß ein Wort wie Airwaves sagt, und alles ist sofort da: der frische Kaugummigeschmack nach den Zigaretten im Park, die Sommernostalgie.

Und dann Symba. Sein absurder Humor, mit dem er sich als Playboy inszeniert, der sein Fahrrad im Parkhaus parkt; seine Selbstironie, die im Rap selten ist. Die Mehrdeutigkeit, die noch seltener ist. Denn wenn Symba Geräusche macht und Tanzbewegungen, dann wirkt das oft so, als übertreibe er sie bewusst, als parodiere er das Bild, das die Almans von einem wie ihm haben, denn ein junger, schwarzer Mann, der muss natürlich tanzen können und lustige Geräusche machen. Da sind Zeilen von ihm wie: „Meine DMs, die sind voll, du musst mir Liebesbriefe schicken.“ Und das würde man sofort und sehr gern tun, wenn man ihm nicht doch erst eine direct message schicken müsste, um an die Adresse für die Liebesbriefe zu kommen.

Nun verrät Symba nicht, ob diese Überbetonung des Ausdrucks intuitiv sein Stil ist oder Absicht, um eine Botschaft zu vermitteln. Von Pashanim würde man gern wissen, ob er seine eingängigen Schlagworthalbsätze wie „Shababs botten“ zwischen zwei Schlucken Saka-Wasser ins iPhone 11 tippt oder er in Wahrheit doch ziemlich lang für die optimale Zeile braucht. Aber im Moment bleibt das ihr Geheimnis, und wahrscheinlich ist das gut so. Was ein bisschen Googeln allerdings schnell klarmacht: Ein Zufall ist die perfekte Ästhetik der Crew sicher nicht. Die Mitglieder wissen sehr genau, was sie tun und bei wem sie sich was abschauen.

Mit ihren Songs und Videos erschafft die Playboysmafia eine Welt. Was für den Rapper Haftbefehl das Frankfurter Bahnhofsviertel war, ist für Pashanim und Symba der Kreuzberger Mehringdamm, ihre Heimat zwischen Dönerimbiss und Hinterhaus, wo man Grastütchen in den gefälschten Gucci-Umhängetaschen hat und strenglimitierte Markenshirts von Ravani. Wie sie den Alltag in ihrem Kiez genau einfangen und ihn zugleich so glorifizieren, dass man sie sofort dorthin begleiten will: groß. Bevor Pashanim als Rapper bekannt wurde, arbeitete er an Musikvideos von Casper und Juju mit; Symba trat als Teenager in einem „Bibi & Tina“-Kinofilm auf und war in der ZDF-Sendung „Der Kriminalist“ zu sehen, inzwischen studiert er Regie in Babelsberg. Dieses Wissen dürfte ihnen geholfen haben, ihre Musikvideos und Instagram-Storys wie Minidokus aufzubauen – Videos, ohne die heute ein Song quasi nicht existiert.

Man könnte meinen, dass ein Rapper, der mal Kinderschauspieler in „Bibi & Tina“ war und jetzt Filmstudent ist, ein kleines Authentizitätsproblem hat. Aber Symba hat das nicht. Er nimmt sich nicht zu ernst und rappt: „Capri-Sonne ist wie Drogen“. Das Video zu „Blockparty“ spielt dann auch nicht vor brennenden Mülltonnen oder einer S-Klasse in der Tiefgarage, sondern mit Plastikpistolen bewaffnet vor einer Hüpfburg bei den blonden Mädchen vom Volleyballverein. Selten hat jemand Rap-Klischees so unangestrengt ausgestellt.

Wenn man überlegt, was das Neue der Playboysmafia ist in einem Genre, das seit Jahren wenig Neues hervorgebracht hat und eher auf hohem Niveau stagniert, dann wohl das: Pashanim und Symba nutzen die Freiräume, die sie haben. Songs dürfen nach eineinhalb Minuten enden, weil sie nicht fürs Radio gemacht sind oder für ein Album, sondern als Hintergrundmusik für Kurzvideos auf Instagram und TikTok. Am Ende eines ausgeklungenen Songs kann Symba noch mal anfangen zu singen, weil warum nicht? Wo er politisch steht, macht Pashanim in drei Zeilen klar: „An Sarrazin will ich verdien’n/Bin in Berlin/Sein Sohn holt jede Woche Tilidin.“ Logisch fahren bei der Playboysmafia auch die Frauen die Roller und tragen Fußballtrikots. Ja, hier erzählen immer noch Jungs von einer Jungswelt, aber zumindest kommen keine Bitches in ihren Liedern vor, und die Frauen in den Videos haben etwas an.

Insbesondere Pashanim dürfte nicht mehr lang brauchen, um die Charts hochzuklettern und Konzerte in ganz Deutschland zu spielen, falls er das will (und Corona es erlaubt). Den neuen Song „Airwaves“ hat der Österreicher Stickle produziert, der von Bushido bis Yung Hurn vielen ihren Sound geschaffen hat. Für seinen Durchbruch mit „Shababs botten“ hatte Pashanim noch einen Beat übernommen, mit dem schon amerikanischen Rappern vor ihm ein Hit gelungen war. Nicht die einzige Professionalisierung, Pashanim hat auch einen Vertrag mit dem Label Universal unterschrieben.

Falls man jetzt fürchtet, dass die Geschichten von den Straßenecken und die Kanten der Fasson-Schnitte aufgeweicht werden könnten für den ganz großen Erfolg, dann überschätzt man wohl die Macht, die Labels noch haben, und unterschätzt die Playboysmafia. Sie hat ja schon das perfekte Produkt. Die schöne Schwermut, die bei Pashanim immer mitschwingt, wenn er sein Kiezleben besingt, als wüsste er, dass es ihn auch nicht zufriedener macht, wenn das Gucci-Täschchen echt von Gucci kommt und nicht aus der Türkei. Das hedonistischere Trotzdem von Symba, der sich halt die „Blockparty“, sein „Maxi King“ und das Zocken an der „PS2“ (alles Songtitel) trotz allem nicht verderben lassen will. Die Welt der Playboysmafia, die von den Kreuzberger Hinterhöfen, wo die Jungs rumhängen, in die Charlottenburger Altbauwohnungen von Kunststudentinnen reicht.

Es macht auch echt nicht viel, dass sie bloß ausgewählte Personen in ihre Welt reinlassen. Aus der Ferne kann man sich leichter nach ihr sehnen.