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Was heißt hier Ordnung, Frau Hofmann?

DIE ZEIT, 2021

Es ist so schön draußen im Park, aber es ist halt auch Corona. Auf Streife mit dem Ordnungsamt Berlin-Mitte in Zeiten wachsender Akzeptanzprobleme

Freitag, halb sieben, die Abendsonne färbt alles golden, die Spree, die Kuppel des Bode-Museums und die Gesichter von ein paar Hundert Leuten. Picknickdecken, Feierabendbier. Am Ufer, die Berliner Museumsinsel im Rücken, singt ein Straßenmusiker und spielt Gitarre. Absolut nichts erinnert in dieser Szenerie an eine Pandemie, nichts bis auf die zwei weißen FFP2-Masken vor den Gesichtern von Cindy Hofmann und ihrem Kollegen, als die beiden unter dem Straßenbahnbogen hervorkommen und den James-Simon-Park betreten, auf dem Rücken ihrer dunkelblauen Uniformen reflektieren die Großbuchstaben: Ordnungsamt.

Ein paar misstrauische, viele amüsierte Blicke. Was wollen die jetzt tun? Hofmann, platinblonde Haare, künstliche Wimpern, eine Hand am Koppel mit dem Schlagstock und dem Reizgasspray, schaut ihren Kollegen André Weishaupt an, als wüssten sie es selbst nicht so genau. Menschen in allen Abstandsvarianten, Gruppen jeder Größe. In diesem Moment ertönt eine erlösende Frauenstimme.

„Hallo, Ordnungsamt. Super, dass wir Sie hier finden.“ Die Frau schiebt ein Fahrrad und zeigt mit der Hand über die Köpfe der Menge, neben ihr eine Freundin mit Jutebeutel. „Dahinten sitzt ein Biber! Wir haben uns gefragt, ist das Ordnungsamt für Biber zuständig?“

„Ein Biber? Um Tiere kümmert sich das Veterinäramt“, sagt Hofmann. „Aber geht es ihm denn gut? Ist er aggressiv?“

„Dem geht es bestens, gerade aus dem Wasser gestiegen.“

„Solange er nicht verletzt ist und niemanden stört.“

Die Frauen bedanken sich, lachen und wünschen einen schönen Abend, dann sind sie weg und die vielen Leute immer noch da. Ein guter Hektar voll quatschender, aufeinandersitzender, angeheiterter Menschen, anders gesagt: eine einzige Ordnungswidrigkeit.

Schon vor Kontaktbeschränkungen und Abstandsregeln waren Ordnungsämter, nun ja, mäßig beliebte Behörden, zuständig für Falschparker und Lärmbeschwerden. 1,6 von fünf Sternen hat das Ordnungsamt Berlin-Mitte, Hofmanns und Weishaupts Arbeitgeber, auf Google Maps. „Gurkentruppe de luxe“ und „schlimmste Warteschleifenmusik“ heißt es in den Kommentaren.

„Man muss sich immer wieder sagen, es geht nicht gegen die Person, sondern gegen die Uniform“, sagt Cindy Hofmann, 26 Jahre alt. „Wir machen die Regeln nicht, wir setzen sie nur um.“

So gut das halt geht. Denn momentan beim Ordnungsamt zu arbeiten, im Zentrum einer Stadt, die stolz bis zur Arroganz ist auf ihre Mir-egal-Haltung, muss sich ein wenig so anfühlen, wie diese Saison bei Schalke 04 zu spielen, minus Millionengehalt. Man wird ausgelacht, beleidigt und bemitleidet, und sobald man rausgeht, steht man vor einer übermenschlichen Aufgabe. Irgendwie muss man sich ihr trotzdem stellen.

Im zweiten Frühling mit Corona gibt es ein Akzeptanzproblem, beklagen Politiker gern. Cindy Hofmann und ihre gut 40 Kollegen vom Allgemeinen Ordnungsdienst in Mitte sehen sich vor allem vor einem riesigen Umsetzungsproblem. In dem Bezirk leben knapp 400.000 Menschen. Irgendjemand muss all die Maßnahmen auch kontrollieren, damit sie ernst genommen werden. Seit Monaten müsste Hofmann in der Theorie jeden auf der Straße fragen, was er tut. „Jede Person ist angehalten, (...) die eigene Wohnung (...) nur aus triftigen Gründen zu verlassen.“ So steht es in Berlins Infektionsschutzverordnung, die allein 60 unterschiedliche Ordnungswidrigkeiten listet. Während die Polizei Straftaten verfolgt, ahnden Ordnungsämter zurzeit vor allem leichtere Corona-Verstöße. Dass trotzdem auch die Polizei auf Corona-Streife geht, liegt einfach daran, dass die Ordnungsbehörden allein komplett überfordert wären.

„Wir haben immer ein Ermessen“, sagt Hofmann vor der Streife. Es klingt wie eine vorauseilende Rechtfertigung. Ermessensspielraum, Verhältnismäßigkeit, das sind Wörter, die oft fallen, wenn man einen Abend mit ihr unterwegs ist. Es werden sich an diesem Freitag, dem 23. April, dem letzten und relativ sonnigen Abend vor der nächtlichen Ausgangssperre, Auslegungs- und Glaubensfragen stellen. Ist ein Geburtstag eine Versammlung? Basketball ein Kontaktsport? Die entscheidende Frage aber wird sein, wer früher nachgibt: die Realität oder die Regeln.

Es ist 16 Uhr, als im Rathaus Mitte, einem funktionalen Bürogebäude, fünf Männer auf den Schalensitzen zweier Bänke Platz nehmen, inmitten eines langen Gangs mit Linoleumboden, jeder zweite Sitz ist mit Absperrband umwickelt. Einsatzbesprechung. Der Koordinator, André Weishaupt, seit Anfang 2020 beim Ordnungsamt, aber schon der Zweitdienstälteste der Gruppe, schiebt die Brille über der FFP2-Maske hoch und teilt den Streifen Abschnitte zu, zehn Kolleginnen und Kollegen sind heute Abend im Einsatz. Weishaupt und Hofmann machen Grünanlagenkontrolle. Hofmann nimmt ein Kartenlesegerät und hängt sich ihre Ordnungsamt-Tasche um, dann eilt sie durch feierabendstille Flure.

Im Hinterhof bei den Dienstwagen kommt ihr ein Kollege einer anderen Streife entgegen, er setzt zur Umarmung an, sie leitet in einen fist bump über. Die meisten Mitarbeiter seien einmal geimpft, ihre zweite Dosis bekomme sie im Mai, sagt Hofmann entschuldigend, als sei der Reporter plötzlich das Ordnungsamt.

Im silbern-blauen VW-Bus auf dem Weg zum ersten Einsatzort erzählt sie von ihrer Dienstwoche, Weishaupt fährt und ergänzt. Gestern hatten sie einen 111er, einen Mann, der seinen Škoda unterm verkehrsberuhigten Brandenburger Tor fotografieren wollte und sich weigerte, bei der Kontrolle seine Identität zu verraten - Verstoß gegen Paragraf 111 im Gesetz über Ordnungswidrigkeiten. Die Polizei kam und nahm den Mann mit auf die Wache. Anfang der Woche wurde Hofmann zu einer Wohnung gerufen, Lärmbelästigung. 85 Personen feierten auf 60 Quadratmetern eine Hochzeit. Sie sahen ein, dass das keine gute Idee war, 100 bis 500 Euro Strafe drohen jedem laut Bußgeldkatalog.

Engelbecken, 16.54 Uhr, Zweite Sars-CoV-2-Infektionsschutzmaßnahmenverordnung des Landes Berlin, Paragraf 2, Absatz 3: Beim Verlassen der eigenen Wohnung (...) ist der Aufenthalt im öffentlichen Raum im Freien, insbesondere auf Straßen, Wegen, Plätzen und in Grünanlagen nur allein (...) oder mit Angehörigen eines weiteren Haushaltes gestattet; es gilt eine Personenobergrenze von höchstens fünf zeitgleich anwesenden Personen.

Am Engelbecken zwischen Mitte und Kreuzberg parkt Weishaupt den Bus, beobachtet von zwei augenrollenden Müttern, Blicke, wie er und seine Kollegin sie noch in vielen Gesichtern sehen werden. Um das weite Wasserbecken sitzen ein paar Grüppchen. Hofmann und Weishaupt nähern sich einer Runde von hinten: „Guten Tag, das Ordnungsamt Berlin-Mitte. Wissen Sie, warum wir Sie ansprechen?“

Ratlose Unschuldsmienen der vier Frauen und zwei Männer, sie trinken weiter Prosecco aus Goldrandgläsern. Eine der Frauen versucht, unauffällig in die Hecke hinter ihr zu morphen. Weishaupt wird laut: „Sie bleiben hier, Sie gehören dazu.“ Die Frau friert ein. Dann geht sie zu Erklärungen über. „Wir wollten nur kurz anstoßen und uns gerade wieder verteilen. Es ist ein Geburtstag. So ein Wahnsinn.“

„Ich kann das alles verstehen, ich würde auch liebend gern Geburtstag feiern. Aber wir haben nun mal leider Corona“, sagt Hofmann. Sie holt einen Block aus der Tasche, um die Personalien zu notieren. „Sie bekommen Post vom Sachbearbeiter, dem können Sie Ihre Darstellung auch noch mal schildern.“

„Schreiben Sie auf, es gab viel Wind, und die Aerosole...“ Die Frau wedelt mit den Armen und zieht zum Beweis an ihrer E-Zigarette: kein Dampf zu sehen.

„Ich nehme das auf.“ Hofmann und Weishaupt lassen sich die Ausweise zeigen, später werden sie im Büro die Anzeigen fertigen, über die dann der Innendienst entscheidet. „Bleiben Sie gesund und trotzdem einen schönen Abend.“ Sie gehen am Beckenrand entlang weiter, weisen zwei Männer, die Wein aus Plastikbechern trinken, auf den Mindestabstand hin, ja, auch bei zwei Personen. Drei Mädchen in Adidas-Jogginghosen behaupten, aus zwei Haushalten zu sein, man habe aber die Adresse im Ausweis noch nicht aktualisieren können, wegen Corona. Hofmann und Weishaupt belassen es dabei, die Mädchen rutschen Zentimeter auseinander. Eines mit Burberry-Sonnenbrille fragt: „Wann kommt Ausgangssperre?“

„Morgen.“

„Ist das jetzt sicher sicher? Weil, ich muss vor fünf los wegen Arbeit.“

„Arbeit ist ein triftiger Grund“, erklärt Hofmann.

„Okay, danke.“

Eine Gruppe ziemlich Alkoholisierter an einer Parkbank wird an den Abstand erinnert, einer zusammengesunkenen Frau Hilfe angeboten. Wohnungslose dürfen in Berlin zu zehnt statt zu fünft zusammen draußen sein, sechs Personen gehen also in Ordnung. „Wo sollen sie auch hin?“, fragt Hofmann. Der Wortführer mit Trucker-Kappe und aufgeknöpftem Hemd sagt etwas lallend: „Du hast schöne Haare.“ Er hält ihr die Faust hin und fragt nach ihrer Nummer. Auch dafür hat Hofmann eine Standardantwort: 110. Die Nummer des Ordnungsamts ist zu lang für den Spruch.

Zurück am VW-Bus, geht sie einmal außen herum: Fahrzeugkontrolle. Spucke, Schmierereien, zerstochene Reifen. Hofmann ist erst seit September beim Ordnungsamt, aber sie hat das alles schon erlebt. Warum sich jemand das antut? Hofmanns Antwort ist pragmatisch. Ihr Bürojob in der öffentlichen Verwaltung wurde eintönig, sie wollte draußen sein, und von der freiwilligen Feuerwehr war sie das Uniformtragen gewohnt. Sie bekam eine dreimonatige Ausbildung an einer Verwaltungsakademie, lernte Paragrafen und Selbstverteidigung. „Wenn sie Ordnungsamt hören, denken viele nur: Ticket. In meinem Fall: das Zettelpüppchen. Aber wir machen viel mehr, von Jugendschutz bis Obdachlosenkontrolle“, sagt sie.

Auf Instagram hat Hofmann den Kanal „Hinter der Uniform“ gestartet, um etwas gegen das Knöllchen-Image zu tun. Sie postet Selfies in Uniform und Zivil, teilt Bilder von Streifen, verfasst menschelnd-sympathische Beiträge, wie man sie von Social-Media-Kanälen der Polizei kennt. Sie freue sich auf die Zeit, wenn sie nicht mehr bloß die sei, die an Abstände erinnern müsse, sagt Hofmann. Einfach mal wieder Jugendlichen erklären, warum sie nicht rauchen sollen.

Monbijoupark, 18.07 Uhr, Zweite Sars-CoV-2-Infektionsschutzmaßnahmenverordnung, Paragraf 19, Absatz 1: Sport darf (...) nur alleine oder mit insgesamt höchstens fünf Personen aus insgesamt höchstens zwei Haushalten kontaktfrei und unter Einhaltung der Abstandsregelungen (...) erfolgen.

Der Ordnungsamt-Bus biegt ab, rollt im Schritttempo in den Monbijoupark. Links stehen sechs Leute im Kreis, rechts sitzt eine doppelt so große Gruppe mit Plastiktüten voller Bierflaschen im Gras. Vorn spielen Jugendliche Basketball. Hofmann und Weishaupt schauen einander an, ein Blick, der die ganze Vergeblichkeit dessen, was gleich kommen wird, enthält. Dann steigen sie aus und gehen in Richtung der größten Gruppe.

Ultralangsam erhebt sich die Runde, als Hofmann und Weishaupt näher kommen. „Ordnungsamt Mitte. Deutsch, Englisch?”, fragt Weishaupt. Keine Antwort. Okay, dann Englisch. “It personally makes me very angry to see this, because you know exactly what you are doing.” Leute wie sie seien es, derentwegen er irgendwann nicht mehr mit seiner Tochter auf den Spielplatz gehen dürfe, sagt Weishaupt. Peinlich berührte Blicke auf den Boden. Wenn sie sich sofort in unterschiedliche Richtungen entfernten und ihren Müll mitnähmen, bleibe es bei der mündlichen ... Ihm fällt das englische Wort für Verwarnung nicht ein. Aber entweder es können doch ein paar Deutsch, oder der Tonfall ist universell. Sie sammeln Flaschen ein, heben Fahrräder auf. Ein Blonder sagt „Danke schön“ mit niederländischem Akzent.

Pflichtschuldig teilen Hofmann und Weishaupt dann auf der anderen Seite des Parkwegs die Sechsergruppe in eine Zweier- und eine Vierergruppe auf. Großes Verständnis, viel Nicken, ja, Abstand sei wichtig. Sobald sie die Uniformen bloß noch von hinten sehen, stehen alle sechs wieder zusammen, auf dem Rad kommt ein Freund dazu, begrüßt mit Umarmung.

Hofmann und Weishaupt steuern auf das Basketballfeld zu. Sieben Jungs, alle tragen Maske. Womöglich sind sie unter 14, dann würden sie nicht unter die Personenobergrenze fallen. Die Frage ist: Zählt der Gesetzgeber Basketball zu den kontaktlosen Sportarten? Amerikas Profiliga NBA jedenfalls, die tue es, glaubt Weishaupt zu wissen. Die Jungs dürfen bleiben. Das in Mannschaftsstärke besetzte Fußballfeld daneben wird großzügig übersehen.

Wo Einzelne gegen Regeln verstoßen, lassen sich Verstöße ahnden. Wo alle gegen Regeln verstoßen, machen sie die neuen Regeln. Mit jeder Minute in einer Umgebung, wo überall Verstöße zu sehen sind, neigen die Ordnungshüter Hofmann und Weishaupt mehr zu einem sehr menschlichen Vermeidungsverhalten, das sie mit vielen Begründungen rechtfertigen. Man sei bloß zu zweit, eigentlich brauche es hier eine Hundertschaft, es könne immer ein aggressiver Corona-Leugner dabei sein, Eigenschutz gehe vor. „Besser, die Leute treffen sich draußen als drinnen“, sagt Hofmann, und damit hat sie logisch betrachtet recht. Mit dieser Logik könnte man die ganze Aktion allerdings auch bleiben lassen. Angeblich ereignet sich ja sowieso bloß ungefähr jede tausendste Übertragung im Freien.

Als sie unter den S-Bahn-Gleisen hindurch zur Spree gehen: die üblichen höhnischen Blicke. Die Frauen mit dem Biber (Hofmann wird ihn erst auf ihrer Schicht am kommenden Tag zu sehen kriegen und auf Instagram posten) sorgen kurz für Aufschub. Dann steigen Hofmann und Weishaupt zwischen Decken und Flaschen hindurch.

Relativ wahllos werden ein paar Gruppen zu mehr Abstand gemahnt, fünf Arabisch sprechende Jungs, die Wodka-Energy trinken, beschweren sich, dass es sie erwischt. Bei der nächsten Gruppe ist ein rotblonder Jugendlicher ganz alkoholselig, sein Kopf hat ein ähnliches Rot wie der Pullover. „Sehr sympathisch, dass ihr so entspannt drauf seid“, sagt er. „Korrekt kulant. Tut mir auch leid, dass ihr die Leute ansprechen müsst.“

James-Simon-Park, 18.43 Uhr, Zweite Sars-CoV-2-Infektionsschutzmaßnahmenverordnung, Paragraf 9, Absatz 7: (...) sind Veranstaltungen und Zusammenkünfte im Familien-, Bekannten- oder Freundeskreis (private Veranstaltungen) nur im Kreise der in § 2 Absatz 2 genannten Personen und zusätzlich mit höchstens einer weiteren Person gestattet, wobei deren Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres nicht mitgezählt werden.

An einer Parkbank feiert eine Familiengruppe Geburtstag, ein gutes Dutzend Erwachsene und fünf Kinder, auf der Sitzfläche stehen zwei Flaschen Korn und Aufschnittplatten. Ein schmaler Mann, schwarze Jogginghose, schwarzes T-Shirt, reiht die Buzzwords „ein Haushalt, Kinder unter 14 und Versammlung im Freien“ aneinander, die alle in der Verordnung zum Infektionsschutz stehen, aber es auch in Summe nicht erlauben, dass knapp 20 Leute zusammen Geburtstag feiern. Hofmann und Weishaupt lassen es dennoch durchgehen, der Mann legt die Handflächen aneinander, danke, danke. Mit Daumen und Zeigefinger zeigt er einen Zentimeterabstand: ein kleiner Schnaps? Im Vorbeigehen sagt ein Mann mit AirPods komplett zusammenhangslos: „Wollt ihr mich verarschen, wo ist Corona, Alter?“

Danach laufen Hofmann und Weishaupt noch ein bisschen rum. Eher still. Ein Mann soll bitte seine zwei Hunde anleinen. Noch eine Gruppe rückt genervt auseinander. Dann versucht sich Weishaupt an einer weiteren Rechtfertigung für das, was hier gerade passiert: zwei Angestellte des Ordnungsamts inmitten offensichtlicher Ordnungswidrigkeiten. Er sagt: „Mir blutet ein bisschen das Herz, wenn ich das hier sehe. Bei ganz vielen geht es nur um Zentimeter, dann würden sie die Regeln einhalten.“

Tiergarten, 19.33 Uhr, Zweite Sars-CoV-2-Infektionsschutzmaßnahmenverordnung, Paragraf 8, Absatz 2: Der Verzehr von alkoholischen Getränken ist in Grünanlagen (...) untersagt.

Zurück am VW-Bus im Monbijoupark. Die verständnisvolle Sechsergruppe vom Anfang ihrer Tour steht da noch, nun in leicht veränderter Besetzung, aber weiter Bier trinkend. „Man kann nicht die Welt retten“, sagt Hofmann. „Menschen sind auch für sich selbst verantwortlich.“

Dann lenkt Weishaupt den Bus durch ein paar Straßen und schließlich durch den weiten, schattigen Tiergarten. Joggerinnen und Radfahrer. Kinder spielen auf einer Wiese Fußball. Mehr als fünf Kinder, ohne Betreuer. Geht nicht als Fußballtraining durch. „Ist eigentlich auch verboten“, sagt Hofmann leise.

Es dämmert, und sie rollen am Brandenburger Tor vorbei, davor fotografiert eine Mutter ihren Sohn. Weishaupt versucht, ins Bild zu fahren. Beide mögen an ihrem Job, dass Kinder oft begeisterter auf ihre Uniformen reagieren als Erwachsene und winken. Der Junge winkt nicht. Irritiert macht er dem Bus Platz, dann geht er wieder in Pose.

20.06 Uhr, eine letzte Maskenkontrolle im Kaufland unter dem Fernsehturm. Nachdem Hofmann und Weishaupt sich beim Marktleiter angemeldet haben, kommt alle paar Minuten eine Durchsage, die an die Abstandsregeln erinnert. „Privat beim Einkaufen höre ich die selten“, sagt Weishaupt. Ein Kunde hat die Maske unter der Nase, einer bloß eine OP-, keine FFP2-Maske. Der Marktleiter kommt dazu und klagt über die neuen Regeln für die Quadratmeteranzahl je Kunde, die ab Samstag gelten. Er zieht seine Maske zurecht, auch bloß das hellblaue OP-Modell, darf er aber, weil er arbeitet.

Es ist längst dunkel, als Cindy Hofmann und André Weishaupt wieder am Rathaus Mitte ankommen. Ab morgen gilt die Ausgangssperre, an ihrer Arbeit wird das nicht allzu viel ändern. Nach 22 Uhr sitzen sie oft im Büro und erledigen den Papierkram, bis die Schicht dann um Mitternacht endet.

Beim Einparken huscht eine Ratte davon. Schemenhaft zeichnet sich vor dem blauschwarzen Himmel der Fernsehturm ab, eine Discokugel, die sich nicht dreht.

In dem Moment geht direkt vor den beiden eine Frau mit Kinderwagen bei Rot über die Karl-Marx-Allee. „Das kostet fünf Euro.“ Weishaupt schaut der Frau hinterher und seufzt ein „Wir sind alle nur Menschen“-Seufzen. „Wir dürfen es aber nicht ahnden“, erklärt er dann. Bei Rot über die Straße zu gehen ist ein Vergehen im Fließverkehr. Das Ordnungsamt ist bloß für ruhenden Verkehr zuständig.