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Haar, Haar!

FAS, 2017

Kürzlich musste ich das Wort „lit“ googeln, das mir in YouTube-Kommentaren begegnet war. In einem Video mit dem Titel „Lit: Bedeutung des Begriffs in der Jugendsprache“ erklärte eine circa vierundzwanzigjährige Frau: „Der Trendbegriff ‚lit‘ hat eine lange Geschichte. In der englischen Literatur taucht er erstmals 1910 im Buch ‚War Birds: Diary of an Unknown Aviator‘ auf. ‚We all got lit and had a hell of a time‘ heißt übersetzt so viel wie: Wir waren sternhagelvoll und hatten eine Fetzen-Gaudi.“ Als moderne Übersetzung empfiehlt die circa vierundzwanzig Jahre alte Frau: „nice, toll, heiß, super“ sowie: „Das war der Hammer“. Ich überlegte, wann ich zuletzt gehört hatte, dass jemand „Das war der Hammer“ sagte, aber mir fiel nichts ein.

Ist vielleicht eine Altersfrage. In letzter Zeit frage ich mich manchmal, ob ich eigentlich noch jung bin. Ich bin vierundzwanzig, natürlich ist das jung, werden Sie jetzt wohl denken, aber es beruhigt mich nicht, dass Sie es denken, falls Sie es denken, denn als Leser einer Papier-Zeitung sind Sie – rein statistisch – vermutlich eher im Alter von „dufte“, „enorm“ oder „knorke“.

Mein „lit“ war bis dahin „cool“ gewesen. Musste ich cool durch lit ersetzen? Klang für all die porno- und tablettensüchtigen Großstadtjugendlichen, die ihre Pubertät in der U-Bahn ausdünsteten, mein „cool“ eben nicht cool, sondern wie . . . Hammer? Fresh? Knorke? Wann war „knorke“ eigentlich cool gewesen (also lit)?

Lit ist bei den das Wort „lit“ benutzenden Menschen zurzeit offenbar ein Kosmetiktrend (Beauty-Hype?), der mir die das Wort „lit“ benutzenden Menschen nicht verständlicher macht. Losgetreten hat ihn gret_chen_chen auf Instagram, einem momentan angesagten sozialen Netzwerk, in dem momentan angesagte Menschen Fotos von momentan angesagten Dingen posten (sich).

Gret_chen_chen zählt laut der Website Bento zu den innovativsten Instagramern, weil sie sich schon mal beim Mittagessen auf einem Friedhof fotografiert hat, „außerdem mit einer Gesichtsmaske, die in irritierender Weise an eine Scheibe Salami erinnert“.

Wirklich viral ging aber erst das Foto, das gret_chen_chen vor ein paar Tagen postete. Darauf ist, natürlich, sie zu sehen, genauer: ihr Gesicht, in dem sich ein zarter Kranz Haare um jedes Nasenloch legt. Das Foto bekam knapp sechshundert Herzen und dreihundert Kommentare, die das Spektrum der gängigen Kommentare in sozialen Netzwerken ganz gut abdecken: Du bist so süß; Du bist widerlich, geh sterben; Ich bin Filmemacher und arbeite gerade an einem Video über Nasenhaarextensions, kannst du dich bitte bei mir melden?

Weil sich unter #nosehair noch ein paar Frauen ihre künstlichen Wimpern ins oder ums Nasenloch klebten, um danach Anleitungen sowie Stylingtipps zu geben, brachten unter anderen BBC und Fox News Artikel über das „neue Ding“ auf Instagram. Über die Beweggründe von gret_chen_chen und ihren Nachahmerinnen konnten die Journalisten nur spekulieren. Wird es im Herbst zugig ums Nasenloch? Ist es, wie Bento fragt, „eine Ansage an die piekfeine Fashion-Welt“? Aber was wird dann angesagt? Oder doch die kulturelle Aneignung des Modestils Nasenhaar, der bislang nur der Mehrheitsgruppe alter, weißer Männer zur Verfügung stand?

Ich bin dann bei „cool“ geblieben.