Geil war's
DIE ZEIT, 2024
Unser Autor möchte nicht wie ein Berufsjugendlicher klingen und versucht, das ewige »Geil« aus seinem Leben zu verbannen
In letzter Zeit höre ich mich Wörter sagen, die mir noch vor ein paar Jahren nicht über die Lippen gekommen wären, oder bloß um meine Mutter nachzumachen, und das Seltsamste daran ist, dass sie mich kaum mehr irritieren. »Das ist ja prima«, sage ich dann, oder: »Klasse!« Den Beiklang von Belobigungen aus der Schule haben prima und klasse zwar selbst in meinen haarigen Ohren noch nicht ganz verloren; aus dem Lebensbereich der Primaner kamen sie ja wohl ursprünglich einmal. Sie sagen sich inzwischen aber eindeutig natürlicher als das, was – glaube ich jedenfalls – jüngere Leute sagen, wenn die etwas begeistert: mies, schwör, legit. Doch sogar altersgemäßere Synonyme wie geil, cool und krass, die ich lange selbstverständlich verwendet habe, klingen für mich aus meinem Mund jetzt krampfig, ungefähr so, als spielte ich im Tatort den Jungkommissar, der nach Dienstende in der Sprechgesangsszene aktiv ist.
Eigentlich hatte ich mir 30 als ein gutes Alter vorgestellt: Noch jung, aber man gehört endgültig zu den Erwachsenen. Verspätet merke ich, dass es ja diese Erwachsenen sind. Die jungsigen Spielplatz-Dads und aggressiv virilen Eisbaderinnen. Berufsjugendliche Joko Winterscheidts, die in ihre Handys pitchen – absolut, mein Lieber, so machen wir das, yes, nice! Ich sag es mal so: Den Kästner-Spruch, dass nur Mensch ist, wer Kind bleibt, haben sie sich wirklich zu ihren jung gebliebenen Herzen genommen.
Befremdet höre ich Kollegen ein »freshes Thema« vorschlagen, ganz unironisch, und frage mich, ob ich bloß ein privates Klemmi-Problem habe. Zieht sich nur in mir alles zusammen, wenn im mitgeschnittenen Taurus-Meeting der eine über den anderen Fast-Rentner (Generalleutnant der Luftwaffe Gerhartz über seinen Chef, Verteidigungsminister Pistorius) sagt, dass der echt ein »total cooler Typ« sei?
Natürlich kann man sich noch auf den Grabstein »Geil war's« schreiben. Etwas aber nur deshalb zu tun, weil es möglich ist, machen bloß Trotzkinder und Protestwähler. Alle anderen fragen sich immer mal wieder: Ist das richtig? Will ich so jemand sein? Mein Erwachsensein wünsche ich mir anders. Erwachsener.
Weder möchte ich länger zu den Lit-Kids gehören (lit, Englisch für »angezündet«, war um 2017 auch mal so ein Geil-Synonym) noch zu diesem Supergeil-Rauschebart aus der Edeka-Werbung werden. Vielleicht kann ich mich auf ein würdevolles Dazwischen retten? Was wäre dann das richtige Wort, um zu zeigen, dass mich etwas begeistert? Nichts Angejahrt-Junges – nicht geil, nicht prima –, aber auch nichts, was sich an TikTok-Trends ranschmeißt.
Vielleicht mal Susanne Daubner fragen. Als Tagesschau-Sprecherin muss sie wissen, wie man seriös klingt, zugleich kennt sie sich mit Teenie-Sprache ein wenig aus, denn sie liest immer, sympathisch irritiert und zur Freude von Social Media, das Jugendwort des Jahres vor. »Ein ›großartig‹ oder ›wunderbar‹ in der Öffentlichkeit kann im privaten Raum durchaus auch mal zu einem ›wie geil‹ werden«, verrät Susanne Daubner per Mail über ihre eigene Wortwahl. »Und die deutsche Sprache bietet so viele Synonyme, dass man damit herrlich spielen kann ... (unabhängig vom Alter).«
Tja, spielen will ich aber gerade nicht mehr und geil sagen auch nicht – tatsächlich ist dieses Geil mein pars pro toto-Haupthasswort, das ich zu lange benutzt habe und mit dem zusammen ich das ganze Ewigjunge verbannen möchte.
Tristan Horx ist genauso alt wie ich und nennt sich einen »Speaker aus der Generation Y«. Er hat einen vier Jahre jüngeren Bruder, und sein Vater, 69, ist der Trendforscher Matthias Horx. Mit Abgrenzung gegenüber Babyboomern und der Gen Z sollte er sich auskennen. Frage an Horx: Wie können wir young professionals Begeisterung authentisch ausdrücken?
»Das ist nice?«, schlägt Tristan Horx vor, und natürlich möchte ich sofort widersprechen: Nice? Diese Business-Lockerheit, das Äquivalent zum weißen Sneaker? Allerdings klingt das Nice von Horx wirklich lässig, weil er einen sanften österreichischen Einschlag hat, und damit klingt eh alles urgut. Nice und geil seien die Wörter, die er in seinem Umfeld am meisten höre und selbst gebrauche, sagt Horx und entschuldigt sich: »Ich bin da richtiger Boomer.«
So viel Generationeneinigkeit ist schön, aber wenn man mit 30 noch nicht wie ein Babyboomer klingen will, der immer nur so alt ist, wie er sich fühlt: Was sagt man dann?
Horx fällt ein, dass sein jüngerer Bruder seit Kurzem ein neues Wort dafür habe, wenn der etwas, nun ja, halt nice findet. »Dänk. Bei dem ist grad alles dänk.« Geschrieben werde es dank und beschreibe eigentlich die Feuchte von gutem Gras – kurzes Zögern –, also von Marihuana, erklärt Horx. Aha. Danke. Wir legen auf, und ich sage es ein paarmal vor mich hin – »dänk, däääänk« –, kriege aber schnell Zweifel, dass das die gesuchte souveräne Zwischenlösung ist.
Jede Zeit hat auch ihre Begeisterungsausdrücke. »Die Knorkitis wütete«, schrieb Kurt Tucholsky 1924 über seine. »Alles war knorke: Essen, Frauen, Börsengewinste, (...) Anzüge, Renntips und Kinogrößen.« Trotz Tucholskys Nachruf auf sie wütete die Knorkitis dann völlig schamlos weiter. Als Mitte der Fünfzigerjahre der Berliner Zoo einen Namen für seinen neuen Gorilla suchte und einen Wettbewerb unter Schulkindern ausschrieb, gewann der Vorschlag »Knorke«. Zur Sicherheit übersetzten die Ausschreiber es für alle, zu denen sich knorke noch nicht herumgesprochen hatte, mit »toll, klasse«.
Seither wurde es hammer, fresh, derbe, urst schau (in der DDR), super, krass, baba, wild und in letzter Zeit vielleicht auch mal kurz smash (Jugendwort 2022) und bombä (behauptet die Gesellschaft für deutsche Sprache in ihrem Jugendsprache-Quiz). Aber wirklich geschafft hat es nur das ewige Geil. Seit 1986 zwei in Deutschland stationierte britische Soldaten mit dem Künstlerduo-Namen Bruce & Bongo in ihrem Nummer-eins-Hit Geil behaupteten: »everybody's geil«, wurde der Geiz geil (Saturn, 2002-2011), wir hatten eine Geile Zeit (Juli, 2004), alles war Leider geil (Deichkind, 2012). Tschick sagte geil (allerdings sagen sie in Tschick auch weltmeistermäßig und dass sie im Saft stehen), und Mittzwanziger wie der Rapper Ski Aggu finden alles bis heute übergeil. Noch immer ärgern sich Kolumnisten, wenn ihr Kind sein erstes Geil aus dem Kindergarten mitbringt (Die Welt, 2022). Dabei ist das »Ende der Geilheit« (Spiegel Online, 2007) natürlich längst ausgerufen, bloß dem Wort geil hat es leider niemand gesagt.
Wieso konnte sich dieses Geil so hartnäckig halten? Sind wir Jüngeren mal wieder zu wenige, um unser eigenes Wort durchzusetzen? Oder so träge, dass uns nicht mal eines einfällt?
Der Linguist und Jugendsprachforscher Nils Bahlo von der Universität Münster, geboren 1979, erinnert sich, dass er in den späten Achtzigerjahren zu Hause auf die Frage, wie es in der Schule war, »Ja, war geil« antwortete – »dafür habe ich eine Schelle bekommen«, sagt er. Steckte noch zu viel Erregung in dem Wort. 40 Jahre später habe er mal mit seiner Mutter seine Großmutter im Altenheim besucht, als die übers Essen sagte: »Schmeckt geil.« Seiner Mutter sei es nicht mal aufgefallen, erzählt Bahlo. Sein Jugendwort war zu einem ganz normalen »gut« geworden.
»Geil hat eine Bilderbuchkarriere hingelegt.« Das Wort habe sich auch deshalb über Jahrzehnte dermaßen etablieren können, weil es schon Jahrhunderte zuvor gebräuchlich gewesen sei, wenn auch mit anderen Bedeutungen. Es stammt wohl vom indogermanischen ghoilos und meinte übermütig. Geil waren Pflanzen, deren Triebe senkrecht hochschossen oder die üppig wucherten: »Mein Genie geilte frühzeitig über jedes Gehege«, heißt es bei Schiller. Sexuelle Konnotationen lagen nahe, und auch Menschen wurden geil, bevor sie dann alles geil fanden.
Heute sprechen jüngere Leute ja basically zu einem Drittel englisch, und ihr dank, smash und lit bleiben vielen dann doch etwas fremd. Gleiches Problem mit türkischen Wörtern wie çüs. Zugleich gebe es deutlich mehr Subkulturen als früher, wie im Gaming oder Rap, die ihre eigenen Geils hätten, vermutet Bahlo. Für den US-Rapper Yeat und seine Fans zum Beispiel ist etwas Gutes krank, gesprochen kränk.
Gibt es überhaupt keine Konkurrenz für geil? Oder könnte doch mal etwas die geile Zeit beenden?
Wenn er da einen Favoriten nennen müsse, sagt Bahlo, dann am ehesten mega; das höre er immer öfter, schon lang nicht mehr hauptsächlich unter Jugendlichen. Jetzt, da er es sagt: Kommt mir auch so vor. Und wie geil ist mega bewährt, als ehrwürdiges griechisches Präfix. Es klingt nostalgisch, nach Megabyte und Megaplex, und fast schon wieder bescheiden, eine Megafabrik wirkt doch gleich freundlicher als eine Gigafactory. Gut, an den Mama/Kita/A-a-Laut muss ich mich gewöhnen, aber man kann es ja mal testen.
Natürlich vor einer harten Jury: den Teenagern in Berlin-Hohenschönhausen. Hochhausheimat der beiden Rap-Stars der letzten Jahre, Capital Bra und Luciano. Wenn jemand sagen kann, ob mega für mein Alter okay klingt, dann doch wohl diese Fortnite- und Tilidin-süchtigen Großstadtjugendlichen.
Mit dem Gong werden sie aus der Gesamtschule in den blassen Mittag gespült, in ihren gut gefakten Canada-Goose-Jacken. Unauffällige Einstiegsfrage von dem Erwachsenensubjekt, das vor ihrer Schule herumlungert: Umfrage zur Jugendsprache, was sie denn gerade für ein Wort für geil sagen?
Musa, 15, beugt seinen hochgeschossenen (Schiller würde schreiben: geilenden) Körper herunter. »Ich sag immer so: geile Schnecke.«
Nein, nein, nicht jemanden – wenn er etwas gut findet.
»Brutal. Krass.«
Hamude, 14, der Zurückhaltendere, sagt: »So, wie er sagt. Krass.«
»Krass brutale Scheißschule«, gibt Musa einen Beispielsatz.
Und ich, was könnte ich sagen, das zu mir passt?
»Brutal. Krass. Geht alles.«
Auch mega?
»Geht auch.«
Francesca und My Linh, beide 17, kommen vom nebenan gelegenen Gymnasium, und ihr Verhältnis zu mega ist belasteter. »Nee, klingt nach Lateinlehrerin.« Sie selber sagen auch krass und empfehlen super oder cool für mein gesetztes Alter. Aber für wahre Coolness braucht es ja auch die Gleichgültigkeit, nicht jede Meinung anderer wichtig zu finden, also lasse ich mir mein Mega nicht gleich wieder von zwei Minderjährigen wegnehmen.
Timo und Vitali, jeweils 13, dürfen zu Hause nicht geil sagen, Vitali nicht mal krass. Also sagen sie es nur draußen und in der Schule und zu ihren Eltern cool. Taha, auch 13, erzählt, dass er türkische Wörter benutze, wenn er etwas möge, »wie güzel«. Das habe er von seinem großen Bruder. Wie übersetzt man das? »Ist so wie nice.«
Jaber, 13, meint: »Einfach: Digga!«
Und welches Wort kann ich statt geil sagen, damit sie mich als Erwachsenen ernst nehmen?
»Die finden nichts geil«, sagt Jaber.
Und da hat er vermutlich recht. Krass, brutal, dank, nice, geil: nichts davon. Ein subtiles mmhmh, wenn ich was gut finde, aber vor allem: nicht zu viel zu gut finden – hier beginnt das wahre Erwachsensein.