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Gold, Rauch und Puder

FAS, 2018

Keine rappte mit so viel Sehnsucht über das Leben in der Nacht wie die Hamburgerin Haiyti. Warum nur will diese Frau jetzt unbedingt ein Popstar werden? Und wer ist sie eigentlich?

Es ist einer dieser Dezemberabende, an denen man mal wieder feststellt, dass Hamburg nicht in Italien liegt, draußen läuft der Regen über die Scheibe, und drinnen, in einem WG-Zimmer in der Hafen-City, sitzt eine Frau vor einem Bildschirm, auf dem sie selbst zu sehen ist. Im Video flirren Sonnenstrahlen durchs Haar der Frau, sie flaniert über eine Promenade am Meer, nicht Italien, aber immerhin Kroatien.

„Was soll ich mit allem Gold der Welt? / Ich will nur ein bisschen Zeit mit dir“, plärrt eine verzerrte Stimme aus den Boxen. Schnitt. Vor der nächtlichen Hamburger Skyline bellt dieselbe Frau, eine Kappe legt nun Schatten über ihre Augen, in eine wacklige Handykamera: „Zum Bankautomat, wieder turn up / Ich jump in den nächstbesten Rover“.

Hochglanz und Handykamera, Highlife und Unterwelt, Popstar und Straßenrapperin – ja, das passt ganz gut jetzt.

Seit ihrem Mixtape „City Tarif“ aus dem Frühjahr 2016 gilt Haiyti als künftiger Star, nicht als künftiger deutscher Rapstar, sondern als künftiger deutscher Popstar. Ihre Geschichten über das Leben auf der sogenannten Straße, Abstürze im Club und ja, die Liebe mochten sich noch so sehr widersprechen – verkauft sie jetzt eigentlich Drogen oder nimmt sie welche? –, und doch klang jeder Song für sich vollkommen glaubhaft. Echt. Was sie rappte und sang und jaulte, musste sie erlebt haben, sonst hätte sie es nicht so eindringlich rappen, singen, jaulen können. Das verspricht Haiytis Musik: einem Milieumädchen bei seinen Abenteuern zuschauen zu dürfen, das echte Probleme hat und daher echte Gefühle, die man nicht unter drei Ironie-Ebenen suchen muss. „Die Storys gibt es wirklich in meinem Leben, ob ich will oder nicht“, sagt Haiyti. Ein echtes Milieumädchen, natürlich.

Vor fünfundzwanzig Jahren schrieb der amerikanische Schriftsteller David Foster Wallace: „Die nächsten echten literarischen ‚Rebellen‘ in diesem Land könnten sich als seltsamer Haufen Anti-Rebellen herausstellen, die es wagen, auf ironischen Beobachtungen zu verzichten (…) Die neuen Rebellen könnten Künstler sein, die bereit sind, das Gähnen, die gerollten Augen, das kühle Lächeln, die gestoßenen Rippen, die Parodie begabter Ironiker, das ‚Oh, wie banal‘ zu riskieren, die Anschuldigungen der Sentimentalität und der Melodramatik.“

Wallace dürfte bei seiner Prophezeiung nicht an deutschen Hip-Hop gedacht haben, vor fünfundzwanzig Jahren ein überschaubares Phänomen. Sie passt trotzdem. Während große Ironiker wie KIZ und ironische Großkönige wie Kollegah noch immer Erfolg haben, eint die neuen Stars, von vielen tatsächlich als Rebellen wahrgenommen, dass sie, und das klingt natürlich erst mal furchtbar eklig, Gefühle ernstnehmen, und sei es nur das Gefühl der Gefühllosigkeit. Dass sie auf Ironie verzichten, diese Ritterrüstung, schützend, aber leer. Keinem ist das so gut gelungen wie dem vierundvierzig Jahre alten Sänger Trettmann, der mit „#DIY“ ein tieftrauriges, maximal pathetisches Album aufgenommen hat, kristallklar perfekt und vom Hip-Hop-Magazin „Juice“ zum besten des Jahres 2017 gekürt.

Trettmann und Haiyti haben mehrfach zusammengearbeitet. Er erzählt vom Aufwachsen in der ostdeutschen Platte, vom Verlust eines Freundes und von Trennungen – sie vom Leben auf dem Kiez, Abstürzen mit Freunden und von Trennungen. Er hat damit den Durchbruch geschafft, sie nicht. Manchmal erkennen sie Leute auf der Straße, und wenn sie in Hamburg Konzerte gibt, sind die ausverkauft. Aber der große Erfolg, die Hitsingle, das Millionenvideo auf YouTube, blieb aus. „Einige um mich ’rum sind Millionäre“, sagt Haiyti, „ich kämpfe seit Jahren richtig doll und mache immer noch ’rum mit meinen Handyvideos. Ich will auch endlich Geld verdienen – aber die Frage ist halt, zu welchem Preis? Das ist die Frage, die ich mir jeden Tag stelle.“

Ja, das ist die Frage. Soll sie zu Böhmermann in die Show gehen, obwohl sie ihn unlustig findet? Zusagen, wenn Fatih Akin ihr vorschlägt, ein Science-Fiction-Musikvideo für sie zu drehen, auch wenn sie Science-Fiction langweilt? Mit Rapperinnen wie dem Berliner Duo SXTN zusammenarbeiten, die sie kennt und die erfolgreicher als sie sind, auf deren Frauenpower sie aber keinen Bock hat? Wie viel „Ich mach, wie ich will“ muss sie für den Erfolg aufgeben?

„Ich mache keine Musik für Hörer, ich will mich einfach ausdrücken“, sagt sie. „Ich kann mich nicht verkaufen. Hab ich nie gelernt.“ Böhmermann, Akin, SXTN, allen habe sie abgesagt, behauptet Haiyti. „Ich fühle mich wohl in der Rolle des Verlierers. Nimm das als Überschrift“, schlägt sie vor. Aber das wäre viel zu eindeutig für eine so widersprüchliche Rapperin.

Haiyti sitzt zwar an jenem Dezemberabend mit einem Kumpel in dessen WG-Zimmer, zwischen Dreckwäsche und Schokoladentafeln, und schneidet ihr neues Video, das gestern schon hätte fertig werden müssen. Genau dieses Video soll aber auch das Lied „Gold“ zur ersehnten Hitsingle machen – Vorbote des ersten Haiyti-Albums bei einem großen Label. Universal hat ihr einen Vorschuss gezahlt, sie hat Werbedeals unterschrieben und ein Budget bekommen, mit dem sie für den Dreh nach Kroatien fliegen konnte. Als sie zurückkam und die Aufnahmen sah – sie am Strand, sie auf einer Yacht, sie mit Wind in den Haaren –, erschienen die ihr seltsam langweilig. Zu glatt. Zu wenig Haiyti.

Also nahm sie doch wieder ihr Handy, behängte sich mit Fake-Schmuck und stellte sich vor die nächtliche Hamburger Skyline. Die professionellen Aufnahmen und die professionell amateurhaften will sie zu einem Video schneiden: das Glatte und das Gossige vereinen.

Was Haiyti von Anfang an interessant machte, war, wie souverän sie das alte Straßenrap-Versprechen herüberbrachte, glaubhaft aus der Unterwelt berichten zu können. Viel glaubhafter als die Villenbesitzer Bushido und Haftbefehl mit ihren Blockbuster-Epen. Die aggressiven Raps, die sich nicht mit komplexen Reimen aufhielten, wie auch, diese Frau hatte Wichtigeres zu tun; die Handyvideos aus dem Nachtleben, die wirkten wie zwischen Drogendeal und Clubbesuch aufgenommen und hochgeladen.

„Ich scheffel das Geld, verprasse es, ey / Fahre jede Nacht Taxi, ey / Du willst leben so wie ich, in Geld, Gold und Puder / Doch daraus wird nichts, Arschkarte, Bruder“, rappt Haiyti auf „Szeneviertel“, und dass sich das unspektakulär anhört, liegt nicht an Haiyti, sondern daran, dass man sie beim Lesen eben nicht hört, ihre Stimme. Ja, die Stimme. Das Heisere, Krächzige, manchmal Kreischende. Es bringt wenig, das zu beschreiben, weil man es hören muss, wer aber einmal gehört hat, wie sich Haiyti durch die Nacht wimmert, der wird nie mehr daran zweifeln, dass sie Gefühl hat.

Wenn man vor ihr sitzt, in einem von ihr ausgesuchten Shishacafé im Hamburger Stadtteil St. Georg, wo Haiyti lebt, muss das wohl automatisch ein bisschen entzaubernd werden. Haiyti, in Jogginghose und einem Harald-Glööckler-Glitzer-Kapuzenpullover, bestellt eine Melonen-Shisha. Sie zieht, hustet, bittet darum, dass Fotografin oder Interviewer die Shisha anrauchen, damit auf den Fotos Rauch zu sehen ist.

Du zeichnest viel und studierst auch ein bisschen an der Kunsthochschule – war bei dir das Zeichnen vor dem Rappen da?

„Ja. Schon als Kind. Meine Schwester und ich haben immer ,Ariel‘ geguckt und gemalt, wie wir aussehen wollten. Paradiesvögel, Meerjungfrauen, so was. Ich war in vielen Dingen gut. Ich bin früher auch geritten, Dressur und Springen, und hab‘ bei Turnieren mitgemacht.“

Springreiten? Ich dachte, du bist im Sozialbau aufgewachsen?

„Hamburg-Langenhorn ist Vorstadt, fast schon Schleswig-Holstein, und hat überall Bauernhöfe drumrum. Als Kind durfte ich da immer Pony reiten. Daher kommt das.“

Eine Zeile von dir, die ich immer deutlich vor mir sehe, ist aus „Ein Messer“, wo du das Tanzen im Rausch als ‚stabile Seitenlage‘ beschreibst.

„Beim Schreiben geht oft so ein Film los. Ich beschreib‘ da ja mich, wie ich am Abgrund bin. Und da ist mir diese Stelle in ‚Breaking Bad‘ eingefallen, wo die eine an einer Überdosis stirbt, an ihrer Kotze, weil sie nicht in der stabilen Seitenlage war. Deshalb hab ich es gesagt.“

Ach so. Es gibt ja auch so ein Junkie-Video von dir, zu „Speedleiche“, das du in der Kiez-Absturzkneipe „Clochard“ gedreht hast. Kannst du da eigentlich noch hingehen?

„Im ,Clochard‘ war ich eigentlich nie, nur das eine Mal fürs Video, weil ich fand, das passt so gut, so geil abgefuckt.“

Ja, das kommt recht überraschend. Das Sozialbaukind, das Reitturniere gewinnt, die Tickerin, die sich beim Schreiben über Drogen von Serien inspirieren lässt, das Kiezmädchen, das die kaputteste Kneipe auf der Meile nur einmal betreten hat. Klar können ihre Geschichten trotzdem stimmen, so oder so ähnlich. Eh total lächerlich, das Gegenteil beweisen zu wollen – soll man ihr vorwerfen, dass sie eine so glaubhafte Illusion geschaffen hat (falls es eine ist)? Aber es enttäuscht ein bisschen.

Sie lässt sich dann überreden, uns zu ihrem Kumpel mitzunehmen, nur ein paar Minuten, um das Video zu zeigen. Wir laufen vom Hauptbahnhof zur Hafen-City und reden über ihr Album. Sie glaubt nicht, dass es ein Erfolg wird. Zu intelligent. Sie beschwert sich über das Cover-Shooting, für das sie, die als Rapperin nie aufs Frausein beschränkt werden wollte, Body und Korsage tragen sollte. Wo andere längst im Nebel der PR-Phrasen untergetaucht wären, erzählt Haiyti immer weiter – und von vielem auch noch das Gegenteil. Fernsehen hasst sie, für TV-Auftritte ist sie zu nervös. Später fällt ihr ein, dass sie unbedingt an den Termin mit Arte denken muss.

So ein Nebeneinander der unterschiedlichen Haiytis ist auch ihr Major-Debüt „Montenegro Zero“. Da erinnern ein paar Lieder an die Straßen-Haiyti, inspiriert vom amerikanischen Südstaaten-Rap, und ein paar Lieder an die Club-Haiyti, die durch Rave-Nächte zieht, da sind die Songs, die nicht mehr nur mit Pop kokettieren, sondern Pop sein wollen, und von denen die abschließende Ballade „American Dream“ der schönste, weil melancholischste ist. „Montenegro Zero“ ist großartig für das, was es sein will: das Major-Debüt einer Rapperin, die Popstar werden möchte.

Irgendwo am Steintorwall ruft Haiyti plötzlich: „Stopp!“ Sie läuft auf die Straße, wo die Autos vor einer roten Ampel warten. „Mach ein Bild! Schnell!“ Sie stellt sich vor eine Gruppe Männer mit Motorrädern, der Regen, das Licht der Scheinwerfer, die Abgase der anfahrenden Maschinen – es ist perfekt.

„Sie weiß genau, wie sie gut rüberkommt“, sagt die Fotografin später. „Sie stellt sich in ein Bild, das schon ohne sie cool aussieht, leiht sich dessen Coolness, und am Ende glaubt man, sie sei es, die das Bild cool macht.“

Ja, genau: Vor dem düsteren Hintergrund des stiernackigen Goldketten-Raps ist eine knapp 1,60 Meter kleine, mit Fake-Schmuck behängte Frau, die sich als Kiezkönigin gibt, die ersehnte Erleichterung – im weichgezeichneten Bild des deutschen Pops wäre die Frau auch nur gern Helene Fischer.

Nachdem Haiyti ihr Video gezeigt und man an der Tür so was wie „Viel Glück“ gesagt hat, läuft man zur U-Bahn und fährt mit ihren Songs nachhause, man stellt sich vor, wie irgendwo da draußen eine Frau über den Kiez streunt, ein paar Teile verkauft und zwischen zwei Clubbesuchen, für die sie nie Eintritt zahlt, auf die erleuchteten Schaufenster von Yves Saint Laurent Schampus spritzt, im Trainingsanzug natürlich. So glaubwürdig war das.