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Probier's mal mit Gelassenheit

FAS, 2022

„In den letzten Jahren stand man als mittelalter weißer Mann ganz schön unter Druck“, schreibt Tobias Haberl – und verteidigt in seinem neuen Buch den „gekränkten Mann“. Unser Autor hat es gelesen und fühlt sich gekränkt.

Relativ am Anfang bittet der Autor um Gelassenheit beim Lesen und um Geduld mit Männern wie ihm, die in einer Männerwelt aufgewachsen sind und sich noch an den Kulturwandel und auch an die „parodistischen Auswüchse“, die der Feminismus heute manchmal annehme, gewöhnen müssten. Okay, denkt man sich, wird garantiert schwer, aber man kann es ja probieren, Gelassenheit: sowieso immer spitzenmäßig. Doch es geht dann einfach nicht. Man liest, oder eher kritzelt, sich durch dieses Buch, und mit jedem Absatz, neben den man „Ist klar“ oder „???“ schreibt, mit jedem Wort, das man bald nicht mehr unter-, sondern durchstreicht, bleibt weniger von dieser Gelassenheit und wird man selbst mehr und mehr zu jemandem wie dem Autor oder einem der Typen, über die er schreibt – ein gekränkter Mann.

Gekränkt bedeutet laut Duden auch verkannt. Klingt dramatisch, aber am Ende fühlt sich der männliche Leser verkannt, weil er mit der Art von Männlichkeit, die hier beschworen wird, wirklich nichts zu tun haben will.

Verkannt, trotz bester Absichten, fühlt sich auch der Autor des Buchs „Der gekränkte Mann“, Tobias Haberl. Ihm, einem Mann Mitte vierzig, ist klar, „dass es jetzt mal reicht mit der Alleinherrschaft der weißen Männer“. Er weiß, dass es blöd war, vor Jahren mal eine Praktikantin „Baby“ zu nennen. Er mag Sophie Passmann. Gleichzeitig nervt ihn die Kompromisslosigkeit, mit der die Gender- und Identitätsdebatte wie „eine Verachtungslawine“ über alle Männer hinwegwalzt. „Ich bin bereit, meine Männlichkeit unserer Zeit anzupassen, aber nicht gedanken- oder vorbehaltlos.“

Vorbehalte hat Haberl eine Menge. Gegen Lullimännchen auf E-Rollern, so ein anbiedernder Hafermilchtrinker wie die will er nicht werden. Gegen eine hyperkorrekte, aber endlangweilige Zeit, in der Mark Forster und Jan Böhmermann Stars sind, nicht mehr Harald Schmidt und Falco und in der „feministische Power-Twitterer“ alles abkanzeln, was nicht in ihre Mimimi-Welt passt.

Schon gegen diese Gegenwartsbeschreibung ließe sich viel einwenden. Wie alle Cancel-Culture-Kritiker muss auch Haberl als Beispiele für die angeblich omnipräsente Cancel Culture in diesem Land Vorfälle an amerikanischen Colleges heranziehen. Und wenn er Rockstars nachtrauert, die sich noch ohne Rücksicht auf den Verlust einiger Instagram-Follower vor aller Augen danebenbenahmen, bis sie mit einer Explosion am Himmel verglühten, wie sich das für echte Stars gehört, dann möchte man ihm zurufen: Bitte mal XXXTentacion, Lil Peep oder Juice WRLD googeln. Eine ganze Generation von Rap-Superstars knallte sich in den letzten Jahren mit Anlauf und der Champagnerflasche in der Hand aus dem Leben. Bloß, weil jemand zu alt geworden ist, um noch die neuen Mitglieder des Clubs 27 zu kennen, heißt das nicht, dass es keine Kurt Cobains mehr gibt und nur noch Max Giesingers.

Aber die Kränkung ist ja ein Gefühl. Es bringt nicht viel, mit dem Gekränkten zu streiten, wie zutreffend seine Realitätswahrnehmung ist. Zugleich bezieht Haberl sich dauernd auf eine vermeintlich objektive „Wirklichkeit“, um das kollektive Gekränktsein zu rechtfertigen. Zum Beispiel: „In den letzten Jahren stand man als mittelalter weißer Mann ganz schön unter Druck.“ Das mag ja für einige stimmen, aber so riesig kann der Druck auf diese Bevölkerungsgruppe auch nicht gewesen sein, wenn er gerade mal ausreichte, um zwei der 40 mittelalten weißen Männer an der Spitze eines Dax-Unternehmens zu verdrängen (durch eine Frau und einen Man of Color).

Aber egal. Die Welt wird weiblicher, Männlichkeit immer mehr zu einem Makel, das ist in „Der gekränkte Mann“ jedenfalls gesetzt, und diese Grundhaltung des Autors muss man jetzt mal kurz akzeptieren, oder man kann es auch lassen.

Haberl möchte den Fortschritt nicht aufhalten. Es wäre fies, ihn als Früher-war-alles-besser-Onkel abzustempeln. „Ich bin zerrissen zwischen einer fragwürdigen Vergangenheit und einer Gegenwart, die ich in guten Momenten als gereift und in schlechten als kleinkariert erlebe.“ Er will nicht die Vergangenheit zurück und höchstens manchmal ihre Männer wieder. Er will, erstens, andere Männer, die sich mit den vielen Veränderungen schwertun, ins Jetzt begleiten und, zweitens, selbst ein Mann sein, der sich nicht für seine Männlichkeit schämt, aber schon mal von #MeToo gehört hat.

In einem geschickten Move wechselt Haberl immer wieder vom Betroffenen zum außenstehenden Erklärer und zurück. Die „Verteidigung eines Auslaufmodells“, so der Untertitel des Buchs, ist mal Selbstverteidigung, mal stellt sich der Autor schützend vor eine diffuse Männergruppe, die bei dem ganzen Wandel nicht mehr hinterherkommt.

Sicher, diese Männer hätten viel verbockt, aber sie seien auch nicht für alles Übel heute verantwortlich. Die meisten verdienten Respekt für ihre Lebensleistung. Pauschalbeschuldigungen verursachten bloß Kränkungen, und vom gekränkten Mann gehe Gefahr aus.

„Dass sich zuletzt vor allem Männer radikalisiert haben, muss mit einer spezifischen Erfahrung der Erniedrigung zu tun haben“, schreibt Haberl mit viel Verständnis für die Erniedrigten. Incels und Kapitolstürmer, Querdenker und AfD-Wähler: alles gekränkte Männer.

Und auch da drängen sich ein paar Zweifel auf, ob gekränkte Männlichkeit wirklich die treffende Diagnose ist. Um nur mal bei den deutschen Beispielen zu bleiben: Bei Querdenken demonstrieren laut Umfragen des Soziologen Oliver Nachtwey mehrheitlich Frauen, nicht Männer, und statt der AfD könnte man genauso gut die FDP als Vereinigung gekränkter Männer bezeichnen, im Gegensatz zu der hatte die AfD wenigstens schon einmal eine Frau an ihrer Spitze.

Manche dieser Ungenauigkeiten und Auslassungen verärgern bloß ein wenig, weil man sich als Leser nicht ernst genommen fühlt. Genüsslich beschreibt Haberl, wie bei der Fußball-EM 2012 unsere Jungs, diese modernen Teamplayer, im Spiel gegen Italien von einem einzigen Mann, dem „tätowierten Stammeskrieger“ Mario Balotelli, zu einer Knilchtruppe zerschossen wurden. Darüber vergisst er dann beinahe, dass die artigen Bubis zwei Jahre später den WM-Titel gewannen.

Bei anderen beiläufigen Halbwahrheiten will man das Buch aber einfach gegen die Wand hauen. „Ärzte berichten von einem sprunghaften Anstieg der Geschlechtsumwandlungen, manchmal stünden mehrere Teenager einer Clique gemeinsam in der Praxis, um an einem Dienstagnachmittag mal eben das Geschlecht zu wechseln – aus einer hochsensiblen Angelegenheit ist ein Modetrend geworden“, behauptet Haberl. Selbstverständlich ist es nicht nur unmöglich, an einem Nachmittag „das Geschlecht zu wechseln“, es wäre in Deutschland auch verboten. Mehrere psychologische Gutachten und ein oft jahrelanger Test, mit dem Betroffene beweisen müssen, dass sie wirklich mit einem anderen Geschlecht leben wollen, stehen vor einer möglichen OP und noch vor der ersten Hormonspritze. Dem „Modetrend“ einer Geschlechtsoperation unterzogen sich 2020 in Deutschland ganze 164 Teenager.

Niemand kann kränkender sein als der Gekränkte. Haberls Buch ist nicht bloß das eines gekränkten Autors über eine Kränkung, sondern selbst kränkend. „Männer vergewaltigen mehr, töten mehr und verschicken definitiv mehr Fotos von ihrem Geschlechtsteil, die keiner haben will“ – so geht einer dieser Sätze, der besser nicht auf den Versuch einer Pointe zugelaufen wäre.

Pflichtbewusst weist Haberl auf „schockierende Statistiken“ über sexualisierte Gewalt an Frauen hin, um dann doch folgende Erklärung eines Soziologen anzuschließen: „Das sind junge Männer, die sich klein fühlen, die es hassen, dass die Welt sie dazu bringt, sich klein zu fühlen, und die versuchen, sich wieder groß zu fühlen, indem sie andere zerstören.“ Schuld hat die kränkende Gesellschaft, nicht der gekränkte Mann. Die mal vorgebrachte, mal angedeutete Behauptung, Verständnis und Mitgefühl für „die“ überforderten Männer schützten am Ende die Gesellschaft vor weiterer gefährlicher, womöglich gewaltsamer Spaltung, ist mindestens problematisch, wenn nicht perfide.

Als Grundthese zieht sich außerdem durch die 250 Seiten, dass der Welt etwas fehlte, wenn ihr die Männlichkeit verloren ginge. Denn Männlichkeit, das heißt für Haberl auch Abenteuerlust und Entschlossenheit, Poesie und Erotik, Leidenschaft und Unvernunft. Mehr davon wünscht er sich, und wer sollte dagegen etwas haben? Unmännlich – oder weiblich – ist das Angepasste, Geschmeidige, Fließende – männlich eine Härte, die sich auch mal querstellt. In diese uralte Stereotypie lässt sich dank ihrer horoskopartigen Vagheit jeder und jede nach Belieben einfügen. Angela Merkel? „Nicht klassisch weiblich.“ Friedrich Merz? Männlicher Basta-Macher, ein Typ, den es braucht, weil „wir die Herausforderungen der Zukunft nur mit Regenbogenfahnen eher nicht bewältigen werden“.

Einmal beschreibt Haberl, wann „Reste archaischer Männlichkeit“ auch persönlich hilfreich sein können, nämlich dann, „wenn man gelegentlich seine Twitter-Blase verlässt oder in der U-Bahn fünf Stationen später als sonst aussteigt. Als moderner Mann gerät man dann schnell unter Druck, weil auf einmal alle anders aussehen und anders oder halt gar nicht reden, sondern gleich zuschlagen.“ Abgesehen von der Frage, wo genau in München der Autor so unterwegs ist – was soll das heißen, wenn nicht: Der Migrant draußen in der echten Welt ist noch ein echter Mann, der nicht lang rumlabert, sondern direkt draufhaut? Haberl nutzt genau die Methoden, die er Minderheiten und ihrer Identitätspolitik vorwirft: Inszenierung als Opfer, kränkende Polemik, der Verweis auf die eigene Biographie, Pauschalisierungen.

Was nicht vorkommt in seiner Liste männlicher Eigenschaften, ist Coolness. Gelassenheit fordert er bloß von anderen. Dabei hätte er an seinen Jugendhelden nicht nur ihren Hunger aufs Leben und die Manneskraft bewundern können, die ihm jetzt ein bisschen fehlen, sondern auch den lässigen Umgang mit ihrer Männlichkeit. Haberl sieht in Hemingway allein den Stierkämpfer und Schreibmaschinen-Berserker, Hemingway war aber auch ein Mann, der beim Sex vermutlich ganz gern Frauenkleider trug. Unwahrscheinlich, dass es ihn in seiner Männlichkeit verunsichert hätte, versehentlich mal einen Schluck Hafermilch zu trinken.

Wenn Haberl unbedingt vermeintlich männliche Tugenden bewahren will, dann, bitte, auch die Tugend, gelassen danebenzustehen, gentlemanlike anderen den Vortritt zu lassen und öfter mal – die allermännlichste Geste – zu schweigen.