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Evolution

FAS, 2019

Sonne! 23 Grad! Frühling! Manchmal schon niedlich: Menschen. Seit zwei Millionen Jahren kraxeln sie auf der Erde herum - und bei den ersten Sonnentagen benehmen sich jedes Mal aufs Neue alle wie in der Beck's-Werbung. Umgekehrt das Gleiche. Aber halt umgekehrt. Bleibt es mal drei Tage grau, möchte man sich nur noch unter einer sehr weichen Decke im Bett verkriechen, „Harry Potter“ schauen und eine Honigmilch-Infusion an sich anstöpseln. Aber dafür müsste man ja vom Sofa aufstehen.

Garantiert ist es etwas undankbar, sich bei der Evolution zu beklagen. Ohne Evolution könnte man sich schließlich nicht über die Evolution beklagen. Auch ist nicht alles schlecht. Die Laute, mit denen wir Menschen uns verständigen, sind vielfältiger geworden, zu den Allzeitklassikern „Hm“, „Hmpf“ und „Mampf“ kamen in letzter Zeit etwa die Neuschöpfungen der Rapperin Cardi B „Skrrrt“, „Brrrt“ und „Okurrr“ dazu. Sogar das unter unseren Vorfahren beliebte Berufsbild des Mammutjägers sollte man sich nicht zu glamourös vorstellen. Tagelanges Rumschlappen im Schnee, und wenn das Vieh endlich aufgestöbert war, glich die Actionszene wieder nur einer Wiederholung des letzten Abgemurkses: Speerwurf, Mammut tot. Tagelanges Rumschlappen im Schnee. Die lebensfrohsten Mammutjäger dürfte der Mangel an Selbstverwirklichung in ihrem Beruf auf Dauer runtergezogen haben. An seiner Sterbekuhle befragt, was ihn das Leben gelehrt habe, antwortete etwa der siebenundzwanzigjährige Hinterbeinharpunier Gzuz: „Esst nie etwas, das größer ist als euer Kopf.“

Insofern, liebe Evolution, nimm es nicht als Kritik, eher als konstruktives Feedback. Die Wettersache: Da besteht Optimierungspotential. Unseren Nachkommen ist zu wünschen, dass sie ihre IQ300-Neuronalnetze nicht bei jedem Guss Regen in die nächste Pfütze stecken wollen. Eine Art entwickelte Schlechtwetterstimmungsresistenz. Nicht erst in zwei Millionen Jahren. Da könnte es zu spät sein, für die Menschen und für den Regen. Der dürfte bis dahin sowieso abgeschafft sein, ist er ja quasi schon jetzt.

Kürzlich saß ich im Park, weil Sonne!, 23 Grad!, Frühling!, als mich ein Herr ansprach. Es war ein Herr, nicht einfach ein Mann, denn er sprach Schweizerdeutsch. Und fragte: „Gibt's in eurem Land auch eine Hundekotaufnahmepflicht?“
Verständlicherweise begeisterte mich die Frage. Hundekotaufnahmepflicht! Allein für das Wort gehörte sie sofort eingeführt. „Im Bereich dieser Grünanlage herrscht Hundekotaufnahmepflicht“ - das war ein Satz, den jede Parkverordnung per Bundesgrünflächenamtsdekret umfassen musste. Gern mit dem Zusatz: „Bei Nichteinhaltung der Hundekotaufnahmepflicht drohen Bußgelder oder der Entzug des Hundeführerscheins.“ Sowie, klarstellend: „Die Hundekotaufnahmepflicht endet erst mit der sachgerechten Hundekotentsorgung in einem mit der Aufschrift ,Dogshit' gekennzeichneten Hundekotaufnahmebehälter.“ Wir wären ein freieres Land. Hundekotfreier.

Überhaupt das „in eurem Land“. Als sei der Herr aus der Schweiz unsicher, ob es ihn nach Deutschland, Österreich oder in einen anderen Drittstaat verschlagen habe, dessen Bewohner zwar ungefähr die gleiche Sprache sprachen, sonst aber so weit entfernt lebten, dass die Distanz nur mit einem runterkumpelnden Du überwunden werden konnte. Der Schweizer führte auch keinen Hund mit sich. Nur eine Familie. Fühlte die Familie sich unwohl? Ekelten sie die Hygienebedingungen in einem hundekotaufnahmepflichtfreien Land? Hielt sie die Nachbarn im Norden für dreckig und ungepflegt? Ja: für Barbaren?

In der Schweiz, das las ich später auf der Internetseite des Hundemagazins „Wuff“, herrscht längst Hundekotaufnahmepflicht. „Überall, außer in den Wäldern, stehen sogenannte Robidogs. Diese grünen
Entsorgungsbehälter sind mit Beutelspendern ausgestattet, an denen man sich kostenfrei ausrüsten kann.“ Das Bußgeld für Nichtentsorgung liege bei hundert Franken.

Leider, gestand ich der Schweizer Familie, gebe es in diesem Land keine Hundekotaufnahmepflicht. Immerhin jedoch habe sich die Gesellschaft der Hundehalter einer freiwilligen Selbstverpflichtung unterworfen, wie zahlreiche Beutelspender auch in dieser Grünanlage bewiesen.

Der Herr aus der Schweiz schaute, als berechnete er die Kosten für einen humanitären UN-Blauhelmeinsatz. Dann sagte er: „Alles gut.“

Da wusste ich endlich, welche Strafe „Alles gut“-Sager erleiden sollten: lebenslange Hundekotaufnahmepflicht.