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Bürolandschaft

FAS, 2020

Das Büro war für mich als Kind ein magischer Ort. Im Büro verschwand mein Vater, aus dem Büro tauchte er wieder auf. Manchmal nach Tagen. In seinem Büro musste er Erwachsendinge tun, wichtige Aufgaben erforderten seine Anwesenheit, wichtiger als ich. So stellte ich mir sein unbekanntes Büroleben vor.

Zurzeit frage ich mich oft, wie es gewesen wäre, während einer Pandemie ein Kind zu sein. Blöd, klar. In meinem Fall wahrscheinlich auch entzaubernd. Zum Arbeiten wäre mein Vater dann nicht mehr in sein geheimnisvolles Büro gegangen. Bloß ins Wohnzimmer. Zwischendurch hätte ich hineingeschaut und festgestellt, dass er überhaupt nichts Besonderes tat, wichtig hätte er dabei garantiert nicht ausgesehen. So waren sie: Erwachsene. Machten aus allem ein Geheimnis und aus jeder Kleinigkeit eine Riesensache, dabei hatten sie in ihrem Superbüro gar keinen Teleporter zum Apparieren, nur einen Computer auf einem Tisch. Auf einen Bildschirm zu schauen, um die Zeit rumzukriegen. Das konnte jedes Kind. Und dafür schickten sie einen in die Schule.

Über die letzten Wochen hat sich das Homeoffice in meinem Bekanntenkreis zu einem Aufregerthema entwickelt. Die einen sagen: das Grauen, weil unsozial und unproduktiv, Erreichbarkeitsstress, keine Trennung von Arbeit und Privatem. Für andere ist das Arbeiten zuhause das Beste an diesem Jahr, weniger Pendeln, mehr Freizeit und Familie, und ganz ehrlich, auf manche Kollegen im Büro wollte man schon länger verzichten. Die dritte Gruppe, zu der ich gehöre, beobachtet die Diskussion leicht amüsiert. Ein eigener Schreibtisch in einem eigenen Büro - ist klar, nicht in diesem Leben, der Laptop wird schon immer ins Café und zurück an den Küchentisch getragen.

Für meinen Vater war das eigene Büro ein Statussymbol. Spätestens seit Corona signalisiert es höheren Status, nicht ins Büro gehen zu müssen. Vorher schon klang das Wort Büro zunehmend nach Fax, Drehstuhl, Dienstreiseantragsformular. Unterm Neonlicht der Deckenröhren gehen dem Büroangestellten die Haare aus – die Digitalnomadin bräunt sich am Strand oder zumindest auf dem Balkon, die Arbeit passiert irgendwie nebenbei. Kein Wunder, dass die Mehrheit der Deutschen auch nach der Pandemie nicht ins Büro zurückkehren will und mindestens ein paar Tage in der Woche von außerhalb arbeiten möchte. Es hat Ironie, dass für einen entsprechenden Rechtsanspruch ausgerechnet die SPD kämpft, deren Ahnen die Heimarbeit niedergerungen haben. „In Wirklichkeit hat der in ihr beschäftigte Arbeiter nebst seinen Angehörigen sämtliche Übel der Fabrikindustrie zu ertragen, ohne deren Vorzüge und günstige Seiten“, hieß es 1882 über Heimarbeit in der Zeitung „Der Sozialdemokrat“.

Homeoffice ist ein Privileg, die Kassiererin und der Paketzusteller müssen raus und unter Körpereinsatz ihre Arbeit verrichten. Aber ich frage mich schon, ob die Heimarbeit wirklich so ein Privileg ist, wie es manche Unternehmen ihre Angestellten glauben lassen, oder eher die Chance, endlich die Büromiete in der Innenstadt zu sparen. Scheinbar gütig erfüllen sie ihren Angestellten den Wunsch, zuhause zu arbeiten, statt sich fragen zu müssen, ob es womöglich etwas mit den Arbeitsbedingungen zu tun hat, weshalb die nicht mehr ins Büro kommen wollen. Eine vielzitierte Studie von Forschern der Universität Stanford mit tausenden Angestellten einer chinesischen Reiseagentur ergab zwar, dass zufällig ausgewählte Angestellte im Homeoffice zufriedener und produktiver waren als die im Callcenter. Aber das heißt ja nur, dass sie lieber an ihrem Schreibtisch sitzen als in einer Telefonbox im Großraumbüro.

Die Tech-Konzerne haben sich in den letzten Jahrzehnten viel Mühe gegeben, ihre Büros nicht wie Büros aussehen zu lassen. Bällebad, Pool, die Spielereien sind legendär, mit denen Apple und Google versuchen, ihren Angestellten die Arbeit so angenehm zu machen, dass sie überhaupt nicht mehr nachhause gehen wollen. Womöglich ist das schon wieder veraltet. Warum das Büro dem Zuhause nachempfinden, warum Kühlschränke und Sofas aufstellen, wenn die Angestellten viel billiger ihre eigenen Getränke auf dem eigenen Sofa trinken und dabei jederzeit arbeiten können? Wer braucht Ablagen, einen Papierkorb, das Office, wenn all das auf ein Display passt? Es löst wenig Euphorie in mir aus, dass das Büro der Zukunft kein Ort sein soll, sondern irgendwas in der Cloud. Schon als Kind träumte ich davon, dass da, wo ich war, über mir nie eine Wolke hing.