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Bushidos Unterwerfung

FAS, 2021

In der Doku-Serie „Unzensiert“ breitet der Rapper reumütig seine Wahrheit über die Trennung von der Unterweltgestalt Arafat Abou-Chaker aus. Allerdings hat diese Erzählung ein paar Lücken.

Der über viele Jahre erfolgreichste deutsche Rapper Bushido hat sich immer mehr für die Meinung der sogenannten Mehrheitsgesellschaft interessiert, als das sein harter, asozialer Mittelfinger-Rap vermuten ließ. Bushido setzte sich schon in Talkshows, als ihm dort noch mit gespitzten Lippen seine Songtexte vorgelesen wurden und er im öffentlich-rechtlichen Stuhlkreis dazu Stellung nehmen sollte. Doch sogar in der feindseligsten Anzugsrunde erzeugte Bushido nie Mitleid, weil er sich verteidigen konnte und, demonstrativ entspannt im Trainingsanzug, die Gewissheit ausstrahlte, dass dieses Spiel am Ende immer nach seinen Regeln lief.

Wenn man jetzt beim Anschauen der Amazon-Dokumentation „Unzensiert – Bushidos Wahrheit“ schon in der ersten Einstellung – ein Fellknäuel von Familienhund hinter einem metallenen Einfahrtstor, davor, undeutlich, eine Polizeibeamtin – das ungute Gefühl bekommt, es könnte dieses Mal anders laufen und Bushido eine relativ traurige Figur abgeben, dann liegt das, erstens, selbstverständlich an der bekannten Bushido-Geschichte. Vom Rap-Star in Bomberjacke und 7er-BMW, der alles wegbeleidigte, ist Anis Ferchichi zu einem 43-jährigen Familienvater und Teilzeitrapper geworden, der unter Polizeischutz steht. Zweitens ist es die Homestory-Lüsternheit der Doku selbst, die einen öfter mal wegschauen und mit Bushido mitleiden lässt. Was hat dieser Mann falsch gemacht, und wie dringend muss er das Geld brauchen, dass er sich weinend beim Blättern in Familienalben filmen und in den Urlaub mit seinen Kindern begleiten lässt, dass er vor der Kamera schlechte Männerwitze macht und gern auch mal vom Sexleben mit seiner Frau erzählt?

Die von der Springer-Tochter „Content Factory“ produzierte Dokumentation erzählt die Trennungsgeschichte von Bushido und seinem ehemaligen Manager, Nachbarn und Generalbevollmächtigten Arafat Abou-Chaker (nicht vorbestraft, oft als Clan-Oberhaupt bezeichnet) aus der Sicht von Bushido und seiner Familie. Man sieht den viel gesuchten Menschen hinter der öffentlichen Person. Man sieht einen Mann, dessen Stolpern zwischen Patriarchenrolle und dem Willen, ein besserer Vater als der eigene Vater zu sein, ein wenig an den schwermütigen Mafiapaten Tony Soprano erinnert. Man sieht Bushido am Herd, kuschelnd mit seinen Kindern und pseudowiderwillig kuschelnd mit seiner Frau Anna-Maria Ferchichi, eine nette normale Familie.

Im Gegenzug für diese privaten Einblicke darf Bushido, wie es der Titel verspricht, seine Wahrheit – ohne Gegendarstellung – erzählen. Bushido erzählt die Geschichte von einem etwas naiven Jungen, der Musik machen wollte und in die breiten Arme einer Berliner Unterweltlegende geriet (zu deren Legendenbildung Bushido viel beitrug). Bald lieferte der Nummer-eins-Rapper prall gefüllte Umschläge in Shisha-Cafés ab und ließ sich generell jederzeit überallhin bestellen. Wie ein Hund, so Bushido, wie ein Prostituierter. „Ich bin jahrelang für dich anschaffen gegangen“, sagt er in die Kamera in Richtung Abou-Chaker.

Bushido macht sich also sehr klein in seiner Erzählung. Er bereut. Er bedankt und entschuldigt sich bei einem Staat, den er jahrelang verhöhnte und der seiner Familie jetzt Personenschützer stellt, weil die Gefahr für sie durch seinen ehemaligen Geschäftspartner, mit dem Bushido seit mehr als einem Jahr vor Gericht streitet, offenbar so groß ist. Er bedankt und entschuldigt sich vor allem bei seiner Frau, die sich demnach weder von Abou-Chaker noch ihrem Mann wie eine willenlose Ehefrau behandeln ließ und deren vorübergehende Trennung ihn erst unter genug Druck setzte, damit er aus der „Sekte“ ausstieg. Und auf einer abstrakteren Ebene rechtfertigt sich Bushido auch vor der Gesellschaft und bietet sich als ihr geläuterter Kronzeuge gegen Clankriminelle an. Der ehrlich Steuern zahlende, also top integrierte Alman-Ausländer gegen die illegalen arabischen Großfamilien.

In so einer Selbsterniedrigung kann Größe und Würde stecken. Bei Bushido hat man jedoch oft das Gefühl, dass er seine Rolle in diesem Stück sehr genau kennt und sich den Regeln unterwirft, sich nahbar macht und von seinen Fehlern erzählt – aber mit einem so übertrieben reuigen Hundeblick von unten, dass man hofft, er würde gleich zwinkern und sich selbst wieder zum Akteur erheben. Aber stattdessen wirkt es, als lese er das Skript auch noch ein drittes Mal vor. Ich, Anis Ferchichi, gestehe…

Ganz so naiv, letztlich unschuldig, wie Bushido hier auftreten darf, kann er kaum gewesen sein. Er, der aufstrebende Rap-Star, der sich angeblich an Abou-Chaker wandte, damit der ihn aus einem Knebelvertrag mit dem Label Aggro Berlin raushaute, geht sofort einen noch viel mieseren Deal mit diesem dubiosen Neuköllner Paten ein? Womöglich wollte der Straßenrapper doch auch einfach von der Straßenaura profitieren. In Bushidos Erzählung bleiben Lücken, die kein Interviewer schließen will. Dass er sich von dem einen sogenannten Clanchef bloß lösen konnte, indem er bei einem anderen sogenannten Clanchef Schutz suchte, darüber spekuliert sogar sein Wikipedia-Eintrag – in den ersten drei (von sechs) knapp einstündigen Folgen der Doku, die man vorab sehen durfte, bleibt es einfach unerwähnt. Genauso wie die Vorwürfe gegen Bushidos ehemaligen Rapper-Kumpel Samra, eine Frau vergewaltigt zu haben; kein Hinweis darauf, wer da immer mal wieder durchs Bild huscht. Lieber noch mal ein paar Luftaufnahmen vom Abou-Chaker/Ferchichi-Doppelgrundstück in Kleinmachnow oder eine Nahaufnahme von Bushido, wie er seine Tochter küsst.