Provinz, Baby
FAS, 2019
Drei der erfolgreichsten Rapper des Landes leben in Bietigheim-Bissingen – und sie sind stolz auf ihre schwäbische Heimat. Was sagt das über uns, ihr Publikum? Eine Reise in die Heimat von Shindy, Rin und Bausa.
Bietigheim-Bissingen bei Stuttgart besteht zu nicht unwesentlichen Teilen aus Weinbergen, Fachwerkhäusern und Mercedessternen, 43 000 Menschen wohnen hier, und dank dreier von ihnen wird die Stadt langsam eine Art Neu-Schnellroda, ein Journalistenreiseziel. Ähnlich wie die Heimat des rechten Denkers Götz Kubitschek in Sachsen-Anhalt fasziniert Bietigheim-Bissingen, genauer gesagt die Verbindung zwischen diesem Auenland und seinen drei berühmten Söhnen. Hier, wo der Sparkassenautomat in der Altstadt als geringste Ausgabeoption 25 Euro anbietet, die Doppelhaushälfte laut Inserat im Fenster nebenan 629 000 Euro kostet und der Brandmeister im Porsche Cayenne ausrückt, hier in dieser schwäbischen Speckgürtelsattheit leben Shindy, Rin und Bausa, drei erfolgreiche Rapper.
Michael Schindler, Renato Simunovic und Julian Otto sind in der Stadt aufgewachsen und, überraschender, geblieben. Statt auf Berliner Promipartys (gut, manchmal auch da) kann man sie in ihrer Stammkneipe in der Altstadt finden, einer Trinkerstube mit Holzvertäfelung und Butzenscheiben, oder beim Herumfahren in ihren Luxusautos, logisch vom Daimler.
„Wir versuchen, es uns zu erklären, aber eigentlich haben wir keine Erklärung für dieses Faszinosum“, sagt Stefan Benning, Leiter des Kulturamts in Bietigheim-Bissingen. „Die drei leben nicht bloß hier, sie sind bekennende Bietigheimer. Sie rappen über die Stadt und wollen nicht weg.“
Benning, ein Mann mit grauem Haar und blauen Augen, hat sein Büro in der Altstadt, nahe der Kneipe der Rapper. Gesprochen hat er nie mit ihnen, aber er weiß viel aus Artikeln über sie: dass Shindys griechische Großeltern nach Bietigheim-Bissingen kamen, wo sie die Gaststätte „Bruddler“ führten; dass Rins Eltern vom Balkan stammen und er in seiner Jugend sechzehnmal umzog, dass Bausas Vater starb, als sein Sohn fünfzehn war. „In einer Stadt, in der Porsche und Daimler auf den Straßen normal sind, waren die drei Außenseiter.“
Wie alle, mit denen ich in Bietigheim-Bissingen spreche, hat Benning eine Rapper-Anekdote: Sein Sohn machte den Zivildienst beim ASB mit Shindy. „Er hat mir erzählt, dass Shindy eigentlich ein biederer Typ ist, verheiratet, mit kleinem Kind. Und intelligent. Manchmal habe ich den Eindruck, in seinen Songs zwischen den Marken und dem Materialismus einen Hauch Selbstironie herauszuhören. Falls er sich und den Rap nicht so ernst nimmt, würde mir das gefallen.“
Was verbindet die Musik der drei mit ihrer Heimat? Ist es mehr als ein Zufall, dass drei Rapper aus der Stadt Stars geworden sind? Eint sie etwas, womit sich im Moment viele identifizieren?
Obwohl die drei miteinander rumhängen, insbesondere Rin und Bausa, klingt ihre Musik sehr unterschiedlich. Shindy, ein Bushido-Zögling, liegt am nächsten am Gangsta-Rap, wobei er sich anders als sein ehemaliger Mentor weniger als der Asozialste denn als der Arroganteste inszeniert, Champagner, Sportwagen, Pelzmantelrap. Rin schafft einen verrauchten Vibe, den viel Text stören würde, so dass er ihn auf Schlagworte reduziert hat, die klingen, als lese er abwechselnd Instagram-Nachrichten und seine Lieblingsmodemarken vor. Bausa hat mit dem Überhit „Was du Liebe nennst“ die Grenze zwischen Rap und Schlager weggeohrwurmt, und seine Radiosongs kann man, mit allen Begleiterscheinungen, Volksmusik nennen.
Wenn man mit ihren Liedern im Kopf nach Bietigheim-Bissingen kommt, freut einen gleich, wie gut alles passt. Auf seinem neuen Album „Drama“, das wie seine Alben zuvor Platz eins der Charts erreichte, rappt Shindy: „Links wohnt ein Innenarchitekt/Rechts wohnt ein Kieferchirurg.“ Und echt: Wenn man durch seine Wohngegend läuft (man frage jemanden unter zwanzig danach), sehen die katalogneuen Flachdachbauten wirklich aus, als wohnten hier Architekten und Ärztinnen, und Shindys Haus erkennt man daran, dass davor wirklich das berappte „koksweiße S-Coupé“ glänzt. Was er mit dem Cabrio gern macht, weiß man aus seinen Songs: „Parke zweite Reihe vor der Kreissparkasse.“
Wie soll man das finden außer hochsympathisch, dieses geile Provinzproletentum eines Kleinstadt-Casanovas, der nicht versucht, sich als Unterweltgröße auszugeben, sondern in seiner Autobiographie schreibt, was er in der Jugend statt Drogen verteilt hat: den „Bietigheimer Stadtanzeiger“.
Allerschönste Sehnsuchtsmusik für Provinzkinder, und die waren in Deutschland ja die meisten einmal. Kreissparkasse und Bushaltestelle und Dönerladen. So sehr sich Shindys Musik von Rins und Bausas unterscheidet, so sehr ähneln einander die Lebensentwürfe. Bausa sucht „eine Braut im weißen Kleid“, er überlegt, „aufs Land zu ziehen“ (was, von Bietigheim-Bissingen aus betrachtet, nicht einfach werden dürfte, Schnellroda vielleicht), auf keinen Fall will er nach Berlin. Als ich Rin vor zwei Jahren traf und er mich durch die Altstadt führte, blieb er im Hexenwegle stehen, einer Märchengasse, und zeigte auf ein Fachwerkhaus: „So eins will ich.“ Ich schaute ihn an, aber es war kein Witz.
Fängt man an, nach Parallelen zu suchen, ihre Musik darauf abzuhören, was sie mit ihrer Heimat verbindet, führt eines zum anderen und ergibt alles Sinn – vielleicht ein bisschen zu viel Sinn. Im glänzenden Autoland von Daimler, Porsche und dem Mercedes-Tuner AMG gehört zu den wenigen Sorgen von Shindy, Rin und Bausa, wie sie ihr Geld ausgeben können. Dennoch zelebrieren sie eher einen Light-Hedonismus; man weiß halt, dass nach dem Wochenende die Kehrwoche kommt.
Die drei haben Tüftlergeist: Bausa komponiert selbst, Rin gilt als fast tyrannischer Perfektionist, und beim Hören von Shindys neuem Album kann man bloß staunen über den Detailwahn. Sie sind Nostalgiker, Shindy hat eine Ode an die Musik seiner Jugend geschaffen, den Prollrap der Zweitausenderjahre von 50 Cent; und wenn Rin seine Sehnsuchtsfrau beschreibt, trägt sie Vintage-Klamotten von Yves Saint Laurent und der Song den Titel „Monica Bellucci“, nach der Schauspielerin, die seine Mutter sein könnte. Zugleich haben die drei die genreübliche Frauenverachtung auf einen Radiosexismus gedimmt – sie besingen Frauen, solange sie für immer ihr Baby bleiben –, und bloß bei Bausa bricht manchmal ekliger Kneipenstumpfsinn durch.
So fügt sich alles ins Bild, die nicht unsympathische, vielleicht etwas kleingeistige Selbstzufriedenheit, der Eigensinn, mit dem man seinen Kram selbst schafft, die Sattheit einerseits und andererseits zugleich das nie endende Rumbasteln an Verbesserungen – man kann all das bei Shindy, Rin und Bausa hören und in ihrer Heimatstadt sehen, sowie in jedem Baden-Württemberg-Werbespot.
Wenn man bedenkt, dass Rap mehr Land- als Stadtmusik ist – die Orte mit dem höchsten Hip-Hop-Anteil an ihren hundert meistgehörten Songs sind bei Spotify die südwestdeutschen Städte Lampertheim und Fellbach, weit vor den Großstädten –, dann kann man sagen: Rätsel gelöst, ein schwäbisches Städtchen hat drei Rap-Stars, weil sich Millionen Rap-Fans in deutschen Städtchen mit Tankstelleneistee und verpassten letzten Bussen identifizieren und in Shindy, Rin und Bausa endlich Rapper gefunden haben, die mit Stolz über ihr Provinzleben singen.
Trotzdem bleibt die Frage, ob das zu einfach ist, ein Fall von: Man sieht, was man sehen will. Eine gewisse spießige Sattheit kam sicher nicht aus Bietigheim-Bissingen in den Deutschrap. Von Bushido, um den Rapper zu nehmen, der für viele Nicht-Rap-Hörende das Deutschrap-Synonym ist, vom Tüftler Bushido, der seine Beats selbst baute, weiß man aus Interviews auch, dass er sehr kleinbürgerlich werden kann, wenn ihm jemand Kurznachrichten mit Kommafehlern schickt, draußen im Berliner Speckgürtel Kleinmachnow. Und überrascht es so sehr, dass Leute, die eher nicht in Einfamilienhäusern und Mutter-Vater-Kind-Familien aufgewachsen sind, Bürgerlichkeit anzieht? Wenn die Sehnsucht nach Haus und Familie spießig ist, wer ist dann nicht spießig? Nein, Deutschrap war immer sehr deutsch, in Berlin wie Bietigheim-Bissingen provinziell.
Im Gegenteil feiern viele Fans Shindy, Rin und Bausa sogar, weil sie nicht provinziell klingen, nicht nach Deutschrap. „Endlich jemand, der den Ami-Sound erreicht hat“, ist ein typischer YouTube-Kommentar zu Shindys Album, und das stimmt: Selten hat Rap aus Deutschland so dick geklungen, nach achtzehn Litern Spritverbrauch, aber egal. Rins Grobkornästhetik seiner Videos schuldet den Kunstprojekten des New Yorker Rappers Asap Rocky mehr als irgendwelchen brennenden Mülltonnen oder dem, was man sich in Frankfurt sonst so unter Brennpunkt vorstellt. Sowieso: Kleingeistiger als der von Shindy, Rin und Bausa besungene Lebensentwurf ist die Vorstellung, ihre Musik müsste kleinbürgerlich sein, weil sie aus einer Kleinstadt kommen.
Wenn man aus der Distanz noch mal ihre Songs hört, dann fällt bloß auf, wie wenig auffällt, dass man sie als spießig-schwäbische Heimatrapper charakterisiert. Statt „fragt“ singt Rin: „Und sie frägt, und sie frägt: Kommst du heute noch zu mir nach Hause mit, Baby?“ Aber die zwei Dialektpünktchen für etwas Sympathisch-Ursprüngliches zu halten, einen Ausweis authentischer Heimatmusik, kann man sich sparen. Man darf Rin zutrauen, dass er hört, was er singt, und mal setzt er einen Provinzmarker, weil er weiß, dass viele Fans sich damit identifizieren, mal nutzt er das Süddeutsche, weil es sich so gut biegen lässt, und mal lässt er es. Nicht natürlich, künstlich: Authentizität macht man sich selbst.
Aber es muss ja nicht überkompliziert werden. Vielleicht einfach mal Leute fragen, die Shindy, Rin und Bausa kennen. Auf der Brüstung am Fluss Enz sitzen zwei Mädchen und ein Junge, sie trinken Eistee, kramen in Bauchtaschen und umgeben sich mit herrlichem Teenagertrotz. Klar kennen sie ihre Rapper, Rin und Bausa hängen hier im Park abends ab. Um zu zeigen, wie eng man ist, erzählt Arthur seine Rapper-Anekdote: „Ich habe mal mit Rin gekifft und ganz wenig reingetan, und er war sofort weg. Rin ist so ein Lappen.“
Nachdem das geklärt wäre, Frage: Macht es einen Unterschied, die Musik von Shindy, Rin und Bausa zu hören gegenüber der von einem Berliner Rapper wie Capital Bra oder der Hamburger 187 Strassenbande?
„Ist schon cool, weil man die kennt“, sagt das eine Mädchen, Kea, „aber nee, die Musik ist ja fast gleich.“ „Macht gar keinen Unterschied“, sagt die Dritte, die ihren Namen nicht verrät, weil ihr Vater mit Shindy befreundet ist und sie glaubt, der fände es nicht gut, dass sie mit einem Journalisten spricht.
Eine Vermutung, warum die drei in Bietigheim-Bissingen geblieben sind? Arthur schaut verdutzt. „Das ist Heimat. Da geht man nicht weg.“ Wie ihn die Frage erstaunt, so erstaunt mich das Selbstverständnis, mit dem ein Teenager das sagt.
Nach einem Tag im Rap-Freiluftmuseum (Shindys Elternhaus, die Gaststätte von Rins Eltern, die zu Ehren des Sohnes das Schnitzel „Renato“ servieren – alles eine Google-Suche entfernt) gehe ich zum Auto, als auf dem Mäuerchen vor seiner Stammkneipe, in der Schwüle des Spätnachmittags, Bausa sitzt. Mit Freunden sitzt er da und trinkt Eiskaffee. Das ist so ein Schock, dass ich weitergehe. Zweiter, nein, dritter Versuch: Sorry, Journalist, eine Frage, ja, bloß eine. Meinst du, dass es in eurer Musik etwas gibt, das euch mit Bietigheim-Bissingen verbindet, dass man eure Heimat raushören kann?
„Etwas Bietigheim-Spezifisches? Boah, was ist das für eine Frage? Nee, glaub nicht. Ich weiß nicht. Keine Ahnung.“
Dann sagt Bausa „Hau rein“, mit dem Bausa-Bass, der immer klingt, als habe Bausa die Nacht im Whiskyfass verbracht, und wenn man seine Augen sieht, ist das keine abwegige Vorstellung. Auf dem Heimweg läuft Rins neuer Hit „Vintage“ im Radio. „Rolex/Komm in meine Stadt, ich bring den Vibe back“. Ein Song, befreit von Inhalt, glatt und oberflächlich wie ein Handydisplay, sodass in ihm alle alles sehen können.