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Detox für Deutschrap

DIE ZEIT, 2022

Sie war die bisher jüngste Rapperin an der deutschen Chartspitze. Badmómzjay tritt gegen Frauenfeindlichkeit an – und geht mit sexistischen Gangsta-Kollegen auf die Bühne

Berlin-Kreuzberg im Februar, der Nachmittag geht vor dem Fenster des Tonstudios kaum merklich in den Abend über. Drei Männer und eine Frau sitzen im Halbkreis, in Sneakern und Jogginghosen, zwischen Club-Mate-Flaschen und Haribo-Packungen, sie könnten einfach Freunde sein und abhängen. »Mir ist unnormal kalt. Bin ich krank?«, fragt Jordan Napieray und versinkt tiefer in ihren Trainingsanzug. »Mental bestimmt«, murmelt Marco Tscheschlok. Napieray verdreht die von aufgeklebten Wimpern umrahmten Augen: »Das habe ich ja nie verheimlicht.« Zentimeterlange Fingernägel klackern auf dem Display ihres Smart­phones.

Seufzend drückt sich Lennard Oestmann vom Mischpult hoch und schaltet das Gebläse an, warme Luft strömt in den Aufnahmeraum.

Alle drei erreichen mit ihrer Musik ein Millionenpublikum: Napieray nennt sich als Rapperin Badmómzjay, Tscheschlok ist ihr Songschreiber und unter dem Namen Takt32 selbst Rapper, Oestmann kennen Deutschrap-Fans als den Produzenten Jumpa. Sie bestimmen den Soundtrack dieser Zeit mit, besonders für sehr viele Teenager.

Badmómzjay, gesprochen bad moms jay, das englische J steht für den Anfangsbuchstaben ihres Vornamens. Sie ist 20 Jahre alt und die jüngste Rapperin, die jemals auf Platz eins der deutschen Charts stand, 2021 zusammen mit dem Berliner Kasimir1441 und dem Song »Ohne Dich«, der mittlerweile mehr als 100 Millionen Mal auf Spotify gestreamt wurde. Im April war sie als erste Rapperin auf dem Cover der deutschen ­Vogue zu sehen: In einem eng anliegenden knöchellangen Kleid im Rot ihrer Haare posierte sie neben dem Titel »Stand up – Speak out«.

An diesem Abend in Kreuzberg will sie einen Song schreiben, den sie drei Monate später vor 8000 Leuten in der Dortmunder Westfalenhalle vorstellen wird. Dort soll sie in einem Show-Battle gegen den Hamburger Bozza antreten, mit Anfang 30 ist dieser Koloss von Mann fast schon ein Rap-Opa. »Das Deutschrap-Event des Jahres«, wie es der Veranstalter Red Bull nennt, wird als Kampf der Geschlechter vermarktet, wie er momentan nicht nur im meistgehörten Musikgenre hierzulande ausgetragen wird, sondern in der ganzen Gesellschaft. Junge Frau gegen gestrigen Mann.

Im Studio hat Jumpa einen Beat angemacht, Takt32 klopft mit seinen ­Nikes zwischen Kabeln den Takt. Badmómzjay steht am Mikrofon:

»Guck mal, diese drei bad bitches jetzt mit Entourage / Spucken deiner Perle, wenn sie frech wird, in ihr Dom-P-Glas / Ich darf alles, sagt mein Spiegelbild und auch mein Kontostand«

Dom-Pérignon-Champagner, kurz Dom P – in der Dom-P-Kategorie, also in kommerziellem Erfolg gemessen, ist Capital Bra der größte deutschsprachige Rapper. 2018 stand er das erste Mal an der Chartspitze und seither noch 21-mal, die Beatles kamen in ihrer Karriere auf elf ­Nummer-eins-Hits in Deutschland. Capital Bra erzählt die klassische Aufstiegsstory des sogenannten Gangsta-Rappers: Straßenkrimineller wird Star und holt sich alles, ­Fame, Geld, Frauen, und von alldem auch ein paar Depressionen.

Badmómzjay ist eine von immer noch relativ wenigen Rapperinnen in der Dom-P-Liga. Doch sie verspricht, mehr zu wollen als bloß Geld und Ruhm. »Ich stehe für fe­male em­power­ment«, sagt sie während eines Gesprächs Anfang Juli in Berlin. »Ich trete gegen Sexismus und Homophobie an.« Und dafür, dass auch im Rap »offenes Reden über Ängste nicht mehr als Schwäche gilt«. Beliebte ­Rap-Wörter wie »Schwuchtel« benutzt sie nicht – »Fotzen«, ein anderes nicht ganz aus der Mode gekommenes Füllwort, dagegen schon, und das nicht immer em­powernd gemeint. »Am Ende ist es immer noch Rap, der ist auch mal auf die Fresse.«

Im Studio in Kreuzberg sucht sie nach einem Wort, das sich auf »MTV-Awards« reimt; den Preis hat sie 2021 als bester deutscher Act gewonnen.

»Wie wär's mit einer leichten Beleidigung?«, schlägt ihr Songwriter Takt32 vor.

»Oder wir lassen die Beleidigungen ganz weg«, antwortet Badmómzjay.

»Bisher sind wir nicht in einem Bereich, wo sich der Ethikrat einschaltet.«

»Wär gut, wenn das so bleibt.«

Sie murmelt vor sich hin, dann hat sie einen Reim: »child support«. Anerkennend wiegt Takt32 den Kopf. »Das ist gut.«

»Seit den MTV-Awards / kennst du plötzlich meine Songs / Aber auch wenn ihr jetzt alle wie aus meinen Eiern klingt, zahl ich keinen child support«

Kindesunterhalt, child support, gab es auch in Jordan Napierays Leben nicht. Zu ihrem seit ihrer Geburt abwesenden Vater habe sie bis heute keinen Kontakt, sagt sie, dafür ein umso innigeres Verhältnis zu ihrer Mutter. Sie wohnt noch bei ihr, in Brandenburg an der Havel. In der Schule spielte sie Theater, »immer die Haupt­rolle«, tanzte Hip-Hop auf Turnieren. Zu Hause, sagt sie, fühlte sie sich trotzdem oft wohler. Ihre Mitschüler nannten sie »Buzzer« wegen ihrer rot gefärbten Haare oder »Schwuchtel«, nachdem sie mit 13 Jahren erklärt hatte, bisexuell zu sein.

Aus der Sicherheit des Kinderzimmers heraus fand sie eine Bühne in sozialen Netzwerken. Wie Millionen Jugendliche machte sie bei Challenges auf Instagram und TikTok mit und rappte dort die Songs von US-Künstlerinnen wie Nicki Minaj nach. Dass sie selbst mal mit Musik Geld verdienen könnte, sei damals völlig abwegig gewesen, sie wollte­ Psychologie studieren, erzählte in ihren Videos von Panikattacken und »self-­love«. »Ich habe mit Leuten über ihre Probleme geredet, statt nur Fotos von mir hochzuladen. Ich kann in Köpfe gucken und traurige Leute sich geborgen fühlen lassen, weil ich weiß, wie es ist, traurig zu sein.«

Anders als die meisten Teenager, deren Postings nur ihren Freundeskreis erreichen, ging Jordan Napieray gleich mit den ersten in die Handyka­mera gerappten Zeilen viral. Schnell folgten ihr Tausende. Aus »Jayjaydareddoll«, wie sie sich in ihren ersten Videos nannte, wurde Badmómzjay - bad mom soll ihre wütende Seite verkörpern, Jay die traurige. Ein Mix aus Introspektion zu poppigen Melodien und aggressiven Rap-Versen kennzeichnet bis heute ihre Songs, da werden aufdringliche »Bastarde« beschimpft, dann richten sich ruhigere Lieder an einen verstorbenen Freund. 2019 lud sie der Schweizer Rapper Monet192 ein, mit ihm einen Song aufzunehmen, den Party-Hit Papi, der am 21. Juni erschien. Am Morgen ­danach hatte sie Nachrichten mehrerer Rapper auf dem ­iPhone, die ihr zu ihrem Talent gratulierten.

Große Plattenlabels warben um sie, nach einem Wettbieten unterschrieb sie im September 2019 bei Universal. Ihrer Mutter, damals Altenpflegerin, sagte Badmómzjay, sie könne auf­hören zu arbeiten und sie stattdessen managen.

Und jetzt, ist sie Millionärin?

»Ich weiß nur, dass ich viel Geld habe, die Summe weiß ich nicht. Die ganze Verwaltung machen meine Mama und mein Finanzberater.«

Eine Antwort, wie sie Badmómzjay öfter bei unseren fünf Treffen gibt: freundlich, fast bescheiden – bloß nicht zu viel verratend. Gleich beim ersten Mal begrüßt sie mich mit Umarmung, um sich dann in den Gesprächen hinter verschränkten Armen und kurzen Antworten zu verschanzen. Interviews möge sie nicht, sagt sie mehrfach und sitzt sie ab wie eine Pflicht. Vielleicht ist sie vorsichtig geworden, weil die Social-Media-Empörungswelle schon mal über sie hereingebrochen ist – nach dem Song »Snowbunny«, darin hatte sie für die Körper dunkelhäutiger Menschen geschwärmt und exotisierende Klischees gebraucht (»Cappuccino Topping Karamell«); sie entschuldigte sich. Zu Hause in Brandenburg lässt sie sich nicht besuchen, seitdem ein Stalker ihre Adresse herausfand und sie mit ihrer Familie umziehen musste.

»Zurückhaltend« nennt Badmómzjays Mutter ihre Tochter. »Als sie ankam und meinte, sie will Rapperin werden, dachte ich, die will mich verarschen«, sagt Peggy Napieray an einem Dezembervormittag 2021 auf einem Sofa des Berliner Radiosenders Kiss FM, während Badmómzjay in einer Aufnahmekabine ein Interview gibt. In Collegejacke und Sneakern sieht Peggy Napieray selbst ein wenig aus wie eine Rapperin. »Sag mir nicht, dass du das ernst meinst. Das ist komplett unrealistisch, dass du das packst«, habe sie damals gesagt. Heute lege sie ihrer Tochter Klamotten für den Tag raus und sorge dafür, dass sie pünktlich zu Terminen kommt. »Sie sagt, ich bin ihr Kissen.«

Als Chefin des Familienunternehmens Napieray begleitet sie ihre Tochter zu Interviews und auf rote Teppiche, oft in ähnlichen Outfits, mal in Jogginghose, mal im Minikleid. Im Stil US-amerikanischer Rap-Manager hat sich Peggy Napieray selbst einen Künstlerinnennamen gegeben, Icy P. Im Rap sind icy Diamanten - und Personen, die über die eiskalte Härte verfügen, um den Erfolg, den die Glitzersteine symbolisieren, zu erringen.

Härte braucht man in einem Genre, in dem Beleidigungen dazugehören und eine männliche Übermacht oft noch immer auf »Fotzen« und »Bitches« zielt. Fragt man Badmómzjay, gegen welche Wider­stände sie ankämpfen muss, gegen welche Formen von Sexismus, nennt sie die ­Anfeindungen, die ihr online entgegenquellen. »Gestern habe ich ein Video gepostet, und sofort hat ein Typ daruntergeschrieben: ›Du wirst auch immer fetter‹«, erzählt sie. »Das ist so wild. Warum schreibst du das? Oder: ›Seit wann kann die Küche rappen?‹ Da merke ich immer wieder: Oh my god. 2022, und wir sind keinen Schritt weiter.« Gegen solche ­Hater, Sexisten, toxischen Männer wendet sie sich immer wieder in ihren Songtexten: Egal, was ich mach, sie suchen sowieso den Haken / Ich lass mir nichts von ein paar weißen alten Opas sagen, heißt es auf Survival ­Mode, dem ersten Lied aus ihrem zweiten, für 2023 angekündigten Album.

Mitte April spielt sie in München ihr erstes großes Konzert zu ihrem Debüt von 2021, badmómz. In der Mitte des dunklen Saals drehen beim Sound­check die Tontechniker an Rädchen auf Regelpulten, davor hat sich die Entourage in Bomberjacken mit Badmómzjay-Schriftzug auf dem Rücken aufgereiht, Takt32, Icy P.

»Wir heulen hier unten alle!«, ruft Peggy Napieray­ zwischen zwei Songs zur Bühne. Mit einer Hand streamt sie live für Instagram, mit der anderen wischt sie sich eine Träne aus dem Auge.

Drei Stunden später, beim Konzert, hält Badmómzjays Tänzerin eine Regenbogenfahne, im Publikum küssen sich gleichgeschlechtliche Pärchen. Den lautesten Applaus gibt es nicht nach Songs, sondern für die Aussagen dazwischen: »Shout out an alle, die heute hier stehen trotz Panikattacken. Wer sitzt auch oft in seinem Zimmer allein?« Und: »Egal, woher ihr kommt, was ihr macht, wen ihr liebt – ich stehe immer wie eine Eins hinter euch.«

»Jordy ist einfach die Krasseste«, sagt vor der Konzerthalle Friederike Triantafyllou, sie ist 20 Jahre alt und arbeitet bei Rewe. »Man kann sich mit ihr identifizieren.«

»Voll«, bekräftigt ihre Freundin Adriely Da Silva, 22 Jahre alt. »Wie sie über Sexualität spricht oder über ihren Vater ...«

Trotzdem mögen sie auch gern den härteren Straßenrap eines Capital Bra. »Manchmal muss man da als Frau weghören«, sagt Da Silva.

Vielleicht ist die Frage also gar nicht: Badmómzjay oder Capital Bra? Womöglich bietet Badmómzjay weniger eine ­Alternative zum sexistischen Gangsta-Proll-Rap als eine entlastende Ergänzung. Beruhigten Gewissens kann man dann auch wieder die heftigeren Sachen hören.

Einen Monat später: der Rap-Kampf, auf den Badmómzjay sich im Februar im Studio vorbereitet hat. Sie trifft auf ihren Gegner Bozza, im Boxer-Mantel und durch ein Spalier aus Fackelträgerinnen läuft er in die Dortmunder Westfalenhalle ein. An jedem Ende der Halle ist eine Bühne, davor stehen die jeweils eigenen Fans und oben die beiden Kontrahenten, unterstützt von ihren Gästen, einem namhaften Best of Deutschrap. Badmómzjay hat sich den Altstar Kool Savas als »Mentor« ausgesucht, den Miterfinder des Battle-Raps, der Ende der Neunzigerjahre noch reihenweise »Schwuchteln« beschimpfte. Anscheinend meint sie nicht ihn, als sie eine Ansage in ihr glitzerndes Mikro macht: »Fick jeden homophoben Bastard.«

Kurz darauf holt sie Farid Bang auf die Bühne und performt einen Song mit dem Mann, der einst rappte, sein Körper sei »definierter als von Auschwitz-­In­sassen«.

Badmómzjay ist inzwischen natürlich auch ein Unternehmen: Kapuzenpullover mit ihrem Namenszug verkauft sie für 60 Euro, ihr Song »Tu nicht so« ist im Fuß­ball-­Game Fifa 22 zu hören, sie hat eine eigene Kosmetiklinie angekündigt. Außer um eine Botschaft geht es auch um sehr viel Geld. Ganz ohne, freundlich formuliert, bedenkliche Typen läuft das Geschäft offenbar nicht. Ihr Management teilt sie sich mit Kool Savas, sie warb für einen Shisha-Tabak von Farid Bang. In ihrem allerersten Lied, damals mit Monet192, rappte der gönnerhaft: »Lass die Bitch bestell'n, nenn es Independence Day.«

Fragt man sie, ob das nicht genau die Männer seien, gegen die sie eigentlich kämpft, schaut sie zu ihrem Manager, der bei jedem Interview ­dabeisitzt. Dann antwortet er für sie, dass man die Frage nicht beantworten wolle.

Zu viel sagen kann schädlich sein, wenn man eine Projektionsfläche für möglichst viele bleiben will. So schnell ging es für Badmómzjay auch deshalb so weit nach oben, weil sie in einer geschickten Verrenkung viele Sehnsüchte bedient: die Sehnsucht Rap-skeptischer Eltern nach guten Vorbildern; die Sehnsucht insbesondere weib­licher Rap-Fans nach einer Iden­ti­fi­ka­tions­figur, die Schwächen zeigt, aber auch mal den Mittelfinger hochhält; die Sehnsucht der Rap-Industrie, die nicht für immer die Troll-Farm frauenverachtender Männer bleiben will, denen sich der Zeitgeist jedes Jahr mit mehr Vehemenz entgegenstellt. Bei Badmómzjay werden eben auch Gangsta-Rap-Fans integriert, statt sie mit ihren problematischen Idolen zu konfrontieren. Es gibt die Badmómzjay, die sich gegen »den ganzen sexistischen Scheiß« im Rap ausspricht. Und es gibt die Badmómzjay, die sich auf Instagram als Playboy-Häschen im String-Bikini zeigt.

Dass sie für freizügigere Fotos am meisten ­Likes bekommt, kann man als Beleg dafür sehen, welche Frauenbilder viele Fans in Wahrheit immer noch am liebsten sehen – oder als Anerkennung für einen stolzen Girlboss, der allein bestimmt, wie er sich präsentiert und die Marktmechanismen für sich einsetzt. Und doch, selbst wenn die Frage hier von einem etwas älteren Mann formuliert wird: Wie selbstbestimmt sind die Bilder, die weibliche Rap-Stars von ihrem Körper zeigen, wenn sie so auffällig den Fan­tasien gleichen, die ihre stumpfesten Kollegen von ihren »Bitches« haben?

»Theoretisch ist es nicht unmöglich, das ­Patriarchat im Hello-Kitty-Tanga zu bekämpfen«, schrieb die britische Feministin Laurie Penny mal. »Es kann allerdings etwas ungemütlich werden.«

Schlussszene des Konzerts in der Westfalenhalle: Alle kommen auf einer Bühne zusammen, Badmómzjays Gegner Bozza, Kool Savas, Farid Bang. Kanonen schießen Konfetti, Glitzerfetzen schweben auf das Publikum herunter. Es gibt keinen Sieger. Gewonnen haben alle. Oben wird Badmómzjay von ihren Kollegen umarmt.