Habe Wand und suche Großes
FAS, 2019
Wie durchgeknallt kann eine Kunstmesse sein? Ein Erstbesuch der Art Basel Miami
Auf dem Weg zur Messe las ich, dass eine Banane für 120 000 Dollar zum Verkauf stand. Sie stammte aus einem lokalen Lebensmittelgeschäft in Miami. Der Künstler Maurizio Cattelan hatte sie mit einem Streifen Klebeband an eine Wand gepappt. Seine Galerie sah in Bananen „ein Symbol des globalen Handels, eine Zweideutigkeit, denn genauso ist sie ein klassisches Instrument des Humors“. Der Künstler hätte ein Jahr an der Idee gearbeitet. Er formte die Banane aus Harz, später aus Bronze, dann lackierte er die Bronze. Endlich fand er zur ursprünglichen Idee zurück: einer Banane. Der Künstler über sein Werk: „Die Banane soll eine Banane sein.“
Draußen zog die Glitzerkulisse von Miami vorbei, Apartmenthochhäuser, die Biscayne Bay. Der Fahrer des Ubers, Vicente, zeigte auf die Millionaires’ Row, Grundstücke am Wasser, vor denen Yachten ankerten, die so groß wie Häuser waren, normale Häuser, denn die hier waren natürlich größer. Vicente erzählte, dass er Immobilienmakler gewesen war und Uber fuhr, um mit der Rente klarzukommen. In der Schlange der SUVs und Limousinen vor dem Miami Beach Convention Center ließ er mich raus.
Die Art Basel Miami. Viel wusste ich nicht über sie. Ich stellte mir eine enddekadente Proletenveranstaltung vor für Leute mit Geld statt Stil, eine Inneneinrichtungsmesse für Neureiche, die ihr Start-up verkauft und jetzt zu viel Leere im Wohnzimmer hatten. Eine Live-Vorführung der Perversität der Kunstwelt, in der jeder Schrott für Millionen wegging, solange ein Künstlerschlaufuchs seinen Namen in japanischen Schriftzeichen oder mit Menstruationsblut draufgeschrieben hatte. In den Worten des Galeristen Emmanuel Perrotin, der die Banane anbot: „Wenn man ein solches Werk nicht verkauft, ist es kein Kunstwerk.“ Wenn man sie aber verkaufte, dann war auch eine mit Klebestreifen an der Wand befestigte Banane Kunst.
Erster Eindruck: Alles war genau so, wie erwartet. Jedes Klischee wurde innerhalb von Minuten erfüllt. Der ältere Mann in der Garderobenschlange bestand darauf, vorgelassen zu werden, weil er für ein VIP-Ticket bezahlt hatte und jetzt sicher nicht wartete, was ich verstand, schließlich würde er bald sterben. Die zugehörige Frau trug diese Balenciaga-Sneaker, die wie eine Kreuzung aus Socken und Badeschuhen aussehen, was sogar an den Füßen cooler Teenager nicht sehr gut wirkt und an den Füßen von Kunstmessenbesucherinnen bloß rührend. „She’s with me“, „We are VIP“, und drinnen, in der Ausstellungshalle dann, „How much is that?“: Meistgehörte Sätze, und sofort liebe ich sie, diese großartig trashige Kunstwelt.
Ich habe wirklich keine Ahnung von Kunst, und sicher wäre es arrogant und falsch zu sagen, dass mich das mit dem Messepublikum verband. Zumindest einen gezeigten Künstler aber kannte sogar ich, in der Mitte der Halle fand ich seine Skulptur. Menschenhoch und bronzefarben glänzte da ein knorriger legierter Baumstumpf. In Wahrheit war er weder legiert noch ein Baumstumpf, sondern von Ai Weiwei (oder seinem Assistenzteam) in einem hochkomplexen Spezialverfahren hergestellt worden, das den Preis von 700 000 Dollar garantiert rechtfertigte. Ein Galeriemitarbeiter erklärte mir das genauer. Ich hörte nicht zu, weil neben mir ein interessantes Verkaufsgespräch stattfand. Sie, ganz in Schwarz, und er, mit einem Seidentuch als Rock um die Hüfte, ließen sich von einem Anzugmann der Galerie die Faszination der Skulptur erklären. Eigentlich hörte der Anzugmann nur zu, während der Rockmann erklärte. „Es glänzt so sexy und reflektiert das Licht“, sagte er und schaute auf den Baumstumpf. Dann machte er eine Bewegung mit der Handkante hin zu den höchsten Ästen. „Aber es ist schon sehr groß“, sagte er. „Kann man die absägen?“
Im Gesicht des Galeriemanns: Panik. Schockstarre. Der potenzielle Käufer lachte. „Just kidding.“ Der Galeriemann versuchte etwas Lachähnliches. „Naja“, sagte die Frau, die das erste Mal etwas sagte und auf eine Einkerbung in der Skulptur auf Kniehöhe zeigte. „Eine Tischplatte könnte man schon einsetzen.“
Ich suchte die Banane. Beobachtungen unterwegs: Auf vielen Bildern war irgendetwas Gegenwärtiges, Smartphones, eine Kreditkarte. Viele Bilder zeigten schwarze Gesichter, vor denen dann hauptsächlich Weiße standen. Verfremdete Amerikaflaggen und Porträts von Rappern waren offenbar in der Kunstwelt eine angesagte Sache. Sie sahen wirklich gut aus, so wie viele Bilder und Skulpturen gut aussahen, und bald verschwammen sie zu einer einzigen Betonwand-Neonlicht-asiatische Schriftzeichen-Installation, wie man sie aus Cafés und Coworking-Spaces kannte.
Vor diesem Hintergrund waren 120 000 Dollar für eine Banane vielleicht doch ein angemessener Preis. Denn die Banane erregte Aufmerksamkeit, vor ihr reihten sich Selfie-Wartende. Und es war eine wirklich schöne Banane. Gelb und erst ein kleiner Fleck leicht braun. Ich glaubte dem Künstler, wenn er sagte, dass er den perfekten Winkel von Klebestreifen zu Banane gefunden hatte. Obwohl sein Werk „Comedian“ hieß, wollte Cattelan die Banane aber nicht als Witz verstanden wissen. Der Witz wäre auch etwas unlustig gewesen. Vor ihm hatten andere Bananen an die Wand gehängt, und falls das eine Kritik sein sollte, dann woran? An der durchgedrehten Kunstwelt, die sogar faulendes Obst zu Kunst, also Geld (oder Geld, also Kunst?) machte? Das wäre ohne Banane natürlich nicht aufgefallen. Ich fragte eine Mitarbeiterin, noch war die Banane nicht verkauft.
Als ich weiterging, kam ich an einem Mann vorbei, dessen Krawatte in ein drahtgestütztes Blumenbouquet überging, das er sich auf die Schulter montiert hatte. Eine Frau trug auf dem Kopf eine Art Salatschüssel, und die war mit Sonnenbrillengläsern beklebt. Wo die Standardabweichung der Standard war, garantierte bloß grotesker Wahnsinn ein wenig Aufmerksamkeit.
Ich war so beschäftigt damit, diese superreichen, superbedürftigen Leute anzuschauen, die nie zurückschauten, sondern immer bloß angeschaut werden wollten, dass ich ihn erst nicht sah. Bloß, dass da jemand war, den zwei Riesen einrahmten. Den Messestand der Galerie Nanzuka riegelten sie ab, ohne jemanden um Erlaubnis zu fragen. Als er dann allein vor den knallbunten Figürchen und Bildern stand, Daumen und Zeigefinger sinnierend am Kinn, eine Pantomime von Museumsbesucher, da erkannte ich ihn: Travis Scott, einer der erfolgreichsten Rapper der letzten Jahre, suchte nach Kunst.
Mit Sonnenbrille und einer Silberkette so dick, dass sie Raupenfahrzeuge fortbewegungsfähig gemacht hätte, stand er da. Dann winkte er einen der Riesen heran, sagte etwas, und der Bodyguard gab die Worte weiter an eine Galeriemitarbeiterin, die nach dem passenden Gesichtsausdruck für diesen Anlass suchte. Offensichtlich hatte sie keine Ahnung, wer ihren Stand übernommen hatte, so wenig wie die Messebesuchenden über zwanzig, die an dem Rapper vorbeigingen. Zwei unter zwanzig holten das Smartphone raus. Travis Scott wandte sich von den Bildern ab. Mit den Händen malte er ein Viereck in die Luft, um zu beschreiben, was er suchte. In seinem Travis-Singsang sagte er: „Ich stelle mir eine Wand vor und etwas Großes.“
Später googelte ich die Banane. Eine Französin hatte sie gekauft. Eine zweite Banane ging an einen Franzosen. Mir war neu, dass es sich um eine Bananenserie handelte. Für die „dritte Edition“ hatte die Galerie den Preis erhöht, auf 150 000 Dollar. Ein Museum kaufte die letzte Banane.