Schalom, Nazis
FAS, 2019
Es war nicht so, dass ich nach Anklam wollte. Wer will das schon. Hinterland, Naziland, Amthor-Land. Anklam ist ein Ort zum Weglaufen, keiner zum Ankommen.
Als plötzlich Anklam auf dem Straßenschild stand, muss die vage Vertrautheit des Stadtnamens etwas getriggert haben, eine Neugier, die mich ohne nachzudenken abfahren ließ. Ein Schild warnte vor Otterwechseln an der flickig geteerten Allee, auf der so einige Führerscheinneulinge todsicher in die Bäume eingeschlagen waren. Dann war ich da.
Anklam ist wie der Name schon sagt Anklam. Friseure und Pflegedienste und das Bekleidungsgeschäft Gina Laura. Es wäre unfair und arrogant zu schreiben, dass sich das Bekleidungsgeschäft Gina Laura von den Namen seiner Kundinnen inspirieren ließ. Mit den Wadentattoos und den blond gesträhnten Haaren, dem Dagebliebenenlook, sahen viele Frauen aber zufällig aus wie Gina oder Laura. Als ich in einem Café aufs Klo ging, bat ein laminierter Zettel, die Dekoration nicht mitzunehmen. Die Deko waren ein Kaktus, eine Plastikkoralle und ein Grablicht.
Vielleicht spürten die Bewohner der Stadt meine Häme, die Klischeeerfüllungszufriedenheit. Auf dem Marktplatz kotete mir ein Vogel auf den Kopf. Ein Zeitstrahl auf dem Pflaster zeigte die Geschichte Anklams. Für 1943 bis 1945 hieß es: massive Luftangriffe. Das war’s. Als sei das Böse dieser Jahre vom Himmel gefallen.
In der Regel wird jeder Ort sympathisch, lernt man erst mal Menschen kennen. Bloß womit ein Gespräch anfangen? Was ich von Anklam wusste, war, dass viele Nazis wählten (NPD-Ergebnis der Kreiswahl im Mai: 10,6 Prozent) und Philipp Amthor hier sein Wahlbüro hatte. Der Zettel im Bäckereiklo erlaubte zudem den Schluss auf einen seltenen Einrichtungsgeschmack.
Ich nahm das Unverfänglichste. Einen Jungen, auf seinem T-Shirt stand „Brainwash“, fragte ich, wie er Amthor finde.
„Viel weiß ich nicht.“
Was von der YouTube-Sache gehört, Rezo…
„Hab ich mich noch nicht eingelesen.“
Als nächste kam eine Frau am Gehstock, die nicht so schnell vor dem Passantenumfrager weglaufen konnte.
„Ick gebe keine Auskünfte.“
Der dritte, ein Mann im Unterhemd, drehte sich bloß um. Im Nacken entfaltete sich ein „ACAB“-Tattoo. Anklam und Amthor zuliebe sei gesagt, dass es Donnerstagmorgen war und das Sampling der Passanten womöglich limitiert.
Auf dem Weg zu Amthors Büro kam ich am milchglasscheibigen Naziladen „New Dawn“ vorbei, dann an einem privaten Museum: ein Luftschutzbunker konnte besichtigt werden, mit Luftalarmsimulation, einem „einmaligen, aufwühlenden Erlebnis“. Was bei der Auswahl wohl Amthors Lieblingsort in Anklam war?
„Gute Frage, nächste Frage“, sagte der Mann, der die Tür des CDU-Büros öffnete. „Er kommt ja eigentlich aus Ueckermünde.“ Da sei es der Hafen. Ueckermünde. Der Hafen. Eine halbe Stunde von Anklam. Vielleicht war es besser so.
Missmutig ging ich zum Auto. Ich war nach Anklam gekommen, um die Stadt zu sehen, die ich schon kannte. Traurige Gestalten und Nazis. Wenige Häuser vom CDU-Bürgerbüro entfernt kam ich an der NPD-Zentrale vorbei, einem geräumigen Gewerbebau. Da sah ich es. Einige Meter weiter, genauer: am Haus nebenan. Einen Davidstern. Hinter der Scheibe des Schaufensters klebte ein Aufkleber: „Kauft bei Juden“.
Der Laden hieß „Schlomi Treff“. Ich ging rein. Aus dem Dunkel des hinteren Teils kam eine Frau Mitte sechzig. Sie trug Kippa. Welcher Wahnsinnige hat Sie bitte in Anklam abgesetzt, als Nachbarin der NPD?
„Gott“, sagte die Frau. „Gott hat auch Humor.“
Und was für einen. Der Herr verfügte es, dass seine Dienerin Yehudit Bachman, eine schweizerisch-israelische Jüdin, von den NSU-Morden hörte und beschloss, die schrecklichen Deutschen kennenzulernen. Die schrecklichsten Deutschen. Sie wollte nach Jameln, das Dorf, in dem außer einem Aktivistenehepaar quasi nur Nazis leben. Um Jameln zu erreichen, braucht man aber ein Auto. Das Aktivistenpaar empfahl Anklam als gut angeschlossene Ersatznazihochburg.
So kam es, dass Yehudit Bachman als Nazitouristin Anklam besuchte, ein leerstehendes Geschäft sah und blieb. Dass der Laden neben der NPD lag, fand sie eigentlich ganz lustig.
Es war hart. Jungen riefen ihr „Jüdin, verschwinde“ hinterher. Die Frau in der Wohnung unter ihrer klopfte sie nachts mit dem Besenstiel wach. Bachman aber blieb. Seit sieben Jahren betreibt sie ihren Secondhandladen, in dem sie Gespendetes verkauft, seit sieben Jahren oder in ihrer Zählung: seit dreizehn Mesusas. So viele Gebetskapseln haben sie ihr vom Rahmen der Ladentür gerissen.
Und doch hat sich über die Jahre eine Balance eingestellt, ja, eine Art Nachbarschaftsverhältnis. Die drüben lassen ihre Mesusas und sie in Ruhe. Sie wird ja eh nicht gehen. Dafür nimmt Bachman mal ein Paket an. Bevor die NPDler es abholen, klebt sie einen „Israel liebt dich“-Zettel dran. „Die Nähe schützt mich“, sagt Bachman. „Wenn mir etwas passiert, weiß jeder, wer es war.“
Enttäuscht sei sie von den Politikern anderer Parteien. Niemand von ihnen kam im Laden vorbei. „Tote Juden werden in Deutschland geehrt. Lebende meidet man.“
Wir aßen noch vom Falafel, den sie auch verkauft. Sie bat darum, ihn zu empfehlen, was einfach ist, da er wunderbar schmeckt und 2,50 Euro kostet.